Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Die weit verbreitete Annahme, mehr Federweg oder eine teurere Marke sei automatisch besser, ist der größte Irrtum beim Fahrwerks-Kauf.

  • Die Performance Ihrer Federung hängt weniger von der Marke als vom perfekten Setup (SAG, Zugstufe) ab, das auf Ihr Gewicht und Ihren Fahrstil abgestimmt ist.
  • Für die typischen Trails im deutschen Mittelgebirge ist ein effizientes 120-140-mm-Fahrwerk oft überlegen, da der nutzbare Federweg entscheidend ist, nicht die maximale Angabe.

Empfehlung: Analysieren Sie Ihr reales Fahrprofil objektiv, anstatt Marketing-Versprechen zu folgen. Investieren Sie Zeit in das korrekte Setup – das bringt mehr als ein teures Upgrade.

Sie stehen im Fahrradladen, umgeben von glänzenden Mountainbikes. Die einen prahlen mit 180 mm Federweg, die anderen mit 120 mm. Gabeln von Fox, Dämpfer von RockShox, und irgendwo murmelt jemand das Wort „Öhlins“. Die Verwirrung ist vorprogrammiert und die zentrale Frage quält Sie: Brauche ich wirklich das Enduro-Bike für meine Feierabendrunde im Schwarzwald oder reicht das leichtere Trail-Bike? Die Bike-Industrie suggeriert oft, dass mehr Federweg und teurere Komponenten automatisch zu mehr Spaß und Sicherheit führen. Man liest von Luftfederung für Tourenfahrer und Stahlfeder (Coil) für Abfahrtsjunkies, eine starre Einteilung, die der Realität oft nicht gerecht wird.

Doch was, wenn die wahre Kunst nicht im Kauf des teuersten Materials liegt, sondern im Verständnis der System-Harmonie? Als Mechaniker hier in Freiburg sehe ich täglich Biker, die auf High-End-Maschinen sitzen, deren Potenzial sie nicht einmal zur Hälfte nutzen, weil das Setup nicht stimmt. Die entscheidende Wahrheit ist: Ein perfekt eingestelltes Mittelklasse-Fahrwerk wird ein schlecht eingestelltes Top-Modell auf jedem Trail übertreffen. Es geht nicht darum, die beste Federung zu besitzen, sondern darum, die *richtige* Federung für Ihr reales Fahrprofil zu finden und sie meisterhaft abzustimmen.

Dieser Artikel bricht mit den gängigen Mythen. Wir werden nicht einfach nur Luft- und Stahlfeder vergleichen. Stattdessen zeige ich Ihnen, wie Sie Ihr Fahrwerk als Gesamtsystem verstehen – von der Wahl des richtigen Federwegs über das minutenschnelle Setup bis hin zur smarten Wartung, die Ihnen hunderte Euro spart. Ziel ist es, Ihnen das Wissen an die Hand zu geben, um eine fundierte Entscheidung zu treffen, die auf Ihrem tatsächlichen Bedarf basiert und nicht auf Marketing-Schlagzeilen.

Um diese komplexe Thematik verständlich zu machen, haben wir den Artikel in logische Abschnitte unterteilt. Der folgende Sommaire gibt Ihnen einen Überblick über die Themen, die wir gemeinsam durchgehen werden, um Sie zum Meister Ihres eigenen Fahrwerks zu machen.

Warum sind 180 mm Federweg nicht automatisch besser als 120 mm?

Der Mythos „viel hilft viel“ hält sich hartnäckig. Ein Bike mit 180 mm Federweg sieht potent aus und verspricht, alles wegzubügeln. Doch für 90 % der Trails in deutschen Mittelgebirgen – vom Harz über den Pfälzerwald bis zum Schwarzwald – ist ein solches Fahrwerk oft ein Nachteil. Der entscheidende Begriff ist hier der nutzbare Federweg. Auf flowigen, welligen Trails mit kurzen, knackigen Anstiegen nutzen Sie von den 180 mm vielleicht nur die Hälfte, schleppen aber das Mehrgewicht und die ineffiziente Kinematik permanent mit sich herum. Ein Bike mit 120-140 mm ist hier oft die agilere, spritzigere und letztlich schnellere Wahl.

Die Wahl des Federwegs sollte eine rationale Entscheidung sein, die auf drei Kernkriterien basiert:

  • Streckenprofil analysieren: Fahren Sie hauptsächlich auf gebauten Flowtrails oder naturbelassenen, technischen Pfaden? Für die meisten Touren in Deutschland, die eine Mischung aus Forstwegen und moderaten Trails beinhalten, sind 120-140 mm Federweg der ideale Kompromiss aus Komfort und Effizienz.
  • Gewichtsvorteil nutzen: Ein Enduro-Bike mit 170 mm wiegt schnell 1,5 kg mehr als ein vergleichbar ausgestattetes Trail-Bike mit 130 mm. Dieses Gewicht spüren Sie bei jedem Anstieg und auf langen Touren.
  • Effizienz priorisieren: Weniger Federweg bedeutet oft eine straffere Kinematik mit weniger Pedalwippen (Anti-Squat). Auf einer typischen 50-km-Tour mit 1000 Höhenmetern sparen Sie mit einem effizienten Fahrwerk messbar Energie, die Ihnen am Ende für die Abfahrt bleibt.

Ein Bike mit weniger Federweg zwingt Sie zudem zu einer aktiveren Fahrweise. Sie lernen, das Gelände zu „lesen“ und mit dem Bike zu arbeiten, anstatt sich nur passiv darüber hinwegtragen zu lassen. Dies verbessert Ihre Fahrtechnik nachhaltig und macht oft mehr Spaß als das Gefühl, von der Strecke entkoppelt zu sein. Die Frage ist also nicht, wie viel Federweg maximal möglich ist, sondern wie viel für Ihr Revier optimal ist.

Wie stellen Sie Ihre Federgabel in 10 Minuten perfekt auf Ihr Gewicht ein?

Die beste Federgabel ist nutzlos, wenn sie nicht korrekt eingestellt ist. Das Basis-Setup ist keine Raketenwissenschaft und lässt sich in wenigen Minuten erledigen. Die wichtigste Einstellung ist der SAG (Negativfederweg) – also wie weit die Gabel allein durch Ihr Körpergewicht im Stand einfedert. Dieser Wert sollte bei Trail- und Enduro-Bikes zwischen 25 % und 30 % des Gesamtfederwegs liegen. Ein Gummiring an der Gabel hilft bei der Messung.

Detailaufnahme der SAG-Messung an einer MTB-Federgabel mit O-Ring Markierung

Mindestens ebenso wichtig, aber oft vernachlässigt, ist die Zugstufe (Rebound). Sie kontrolliert, wie schnell die Gabel nach dem Einfedern wieder ausfedert. Eine zu schnelle Zugstufe lässt das Vorderrad unruhig werden und „springen“, eine zu langsame lässt die Gabel bei schnellen Schlägen „verhärten“, da sie nicht schnell genug in die Ausgangsposition zurückkehrt. Eine einfache Methode zur Grundeinstellung ist der „Bordstein-Test“:

  1. Stellen Sie die Zugstufe (meist ein roter Drehknopf unten an der Gabel) in die mittlere Klick-Position.
  2. Fahren Sie langsam auf einen Bordstein zu und komprimieren Sie die Gabel kräftig, indem Sie den Lenker nach unten drücken.
  3. Lassen Sie den Lenker los und beobachten Sie das Vorderrad. Es sollte einmal ausfedern und sich sofort beruhigen.
  4. Springt das Rad vom Boden ab, ist die Zugstufe zu schnell. Drehen Sie den Knopf 2 Klicks Richtung „langsamer“ (oft mit einem Schildkröten-Symbol markiert).
  5. Federt die Gabel merklich langsam und „zäh“ aus, ist sie zu langsam. Drehen Sie 2 Klicks Richtung „schneller“ (Hasen-Symbol).

Ein Profi-Tipp für Luftgabeln: Der Luftdruck ist temperaturabhängig. Wenn Sie Ihr Bike im 20 °C warmen Keller aufpumpen und dann bei 5 °C im Wald fahren, kann der Druck deutlich sinken. Messungen zeigen, dass bei einem Temperaturabfall von 20 °C auf 5 °C eine Luftgabel etwa 10-15 % an Druck verliert. Kontrollieren Sie den Druck daher am besten direkt am Trailhead.

Fox, RockShox oder Öhlins: Welche Marke passt zu Ihrem Fahrstil im deutschen Mittelgebirge?

Die Debatte zwischen Fox und RockShox ist so alt wie das moderne Mountainbiken selbst, und mit Marken wie Öhlins, DVO oder Marzocchi wird die Auswahl nicht einfacher. Die Wahrheit ist: Auf einem gewissen Preisniveau gibt es keine „schlechten“ Fahrwerke mehr. Die Unterschiede liegen im Detail, in der Philosophie und vor allem in den laufenden Kosten. Für einen pragmatischen Fahrer im deutschen Mittelgebirge ist die Frage der Servicefreundlichkeit und -kosten oft entscheidender als das letzte Quäntchen Performance, das nur Profis spüren.

RockShox gilt oft als etwas benutzerfreundlicher im Service, während Fox-Produkte ein sehr sattes, sensibles Fahrgefühl vermitteln („plush“). Öhlins ist bekannt für seine überragende Dämpfungskontrolle, die aber auch ein präzises Setup erfordert. Anstatt sich in Marken-Dogmen zu verlieren, lohnt sich ein Blick auf die Fakten, insbesondere die Unterhaltskosten. Ein kleiner Service (Lower Leg Service) ist jährlich oder alle 50-125 Stunden fällig, ein großer Service alle 1-2 Jahre. Die Kosten hierfür variieren je nach Marke und Werkstatt erheblich.

Der folgende, auf typischen deutschen Werkstattpreisen basierende Vergleich zeigt, mit welchen Kosten Sie langfristig rechnen müssen, wie eine aktuelle Analyse von Werkstattkosten zeigt.

Servicekosten-Vergleich der Top-Marken in Deutschland
Marke Kleiner Service Großer Service Intervall
Fox 50-60€ 120-150€ 125h/Jahr
RockShox 35-45€ 110-130€ 50h/200h
Öhlins 70-80€ 150-180€ 100h/Jahr

Darüber hinaus gibt es in Deutschland eine exzellente Szene von Tuning-Spezialisten wie MRC Trading, die Standard-Fahrwerke individuell auf Ihre Bedürfnisse anpassen können. Oft ist ein Custom-Tune für ein Mittelklasse-Fahrwerk die bessere Investition als der Kauf des teuersten Serienprodukts. Letztendlich sollte die Wahl der Marke von Ihrem Budget, Ihrer Bereitschaft zur Wartung und der Verfügbarkeit von Service-Partnern in Ihrer Nähe abhängen.

Die 3 Setup-Fehler, die Ihre Federung in 6 Monaten ruinieren und 800 € kosten

Ein teures Fahrwerk kann durch unsachgemäße Behandlung oder vernachlässigte Wartung schnell zum wirtschaftlichen Totalschaden werden. Es sind oft kleine Fehler, die über Monate hinweg zu teuren Reparaturen führen. Der größte Fehler ist die pure Ignoranz gegenüber dem eigenen Material. Jordi Cortes, eine Legende aus der Fox Racing Shox Rennabteilung, bringt es auf den Punkt:

Der häufigste Fehler ist, dass Leute keine Ahnung haben, was sie da haben. So viele sagen ‚ich fahre 100 psi‘ und es sind tatsächlich nur 75 psi

– Jordi Cortes, MTB-News Interview mit Fox Racing Shox

Dieser Mangel an Präzision ist der Anfang vom Ende. Neben dem falschen Luftdruck gibt es drei kritische Fehler, die ich in der Werkstatt immer wieder sehe und die Sie unbedingt vermeiden sollten:

Nahaufnahme beschädigter Federgabel-Dichtungen durch falsche Wartung
  • Falsches Drehmoment: Viele Biker ziehen Achsbolzen und Klemmschrauben „nach Gefühl“ an. Eine zu fest angezogene Achse kann die Gabel verspannen, was zu extrem hohem Verschleiß der Buchsen führt. Die Reparatur kostet schnell 200-300 €. Investieren Sie in einen 30-Euro-Drehmomentschlüssel und halten Sie sich exakt an die Herstellerangaben.
  • Hochdruckreiniger-Schäden: Niemals, wirklich niemals, den Hochdruckreiniger direkt auf die Dichtungen von Gabel oder Dämpfer richten. Der harte Wasserstrahl drückt Wasser und Schmutz an den Dichtlippen vorbei direkt ins Innere des Fahrwerks. Dort emulgiert es mit dem Öl und zerstört die Schmierung. Die Folge sind zerkratzte Standrohre – eine Reparatur, die oft 800 € übersteigt. Sanfte Reinigung mit Schwamm und Wasser ist der einzige Weg.
  • Ignorierte Geräusche: Wenn Ihre Gabel schmatzende oder schlürfende Geräusche macht, ist das ein Alarmzeichen. Es bedeutet meist, dass Luft in die Ölkammer der Dämpfung gelangt ist. Wird dies ignoriert, leidet die Dämpfungsleistung und es können Folgeschäden entstehen. Ein kleiner Service behebt dieses Problem oft, bevor es teuer wird.

Diese Fehler sind zu 100 % vermeidbar. Ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit und die richtigen Werkzeuge sind die beste Versicherung für ein langes und performantes Leben Ihres Fahrwerks.

Wann braucht Ihre Federgabel wirklich einen Service: nach 50 oder 100 Stunden?

Die Serviceintervalle der Hersteller – oft 50 Stunden für einen kleinen und 100-200 Stunden für einen großen Service – wirken auf viele Hobby-Biker übertrieben. „50 Stunden, das ist ja schon nach ein paar Monaten erreicht!“, höre ich oft. Aber was bedeuten diese Zahlen konkret? Bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 15 km/h entsprechen 50 Betriebsstunden etwa 750 km Fahrleistung. Wer also regelmäßig 1-2 Mal pro Woche fährt, erreicht dieses Intervall tatsächlich schnell. Und die Einhaltung ist keine Schikane, sondern eine technische Notwendigkeit.

Im Inneren einer Federgabel schmieren wenige Milliliter Öl die Dichtungen und Buchsen. Dieses Öl nimmt mit der Zeit Schmutz auf und verliert seine Schmierfähigkeit. Besonders die Schaumstoffringe unter den Hauptdichtungen trocknen aus. Fährt man weiter, reibt trockenes Metall auf Gummi, was zu Abrieb und schließlich zur Zerstörung der teuren Standrohre führt. Ein kleiner Service, bei dem Öl und Schaumstoffringe gewechselt werden, kostet ca. 40-60 € und verhindert Schäden im Wert von hunderten Euro.

Die Konsequenzen des Ignorierens sind real und kostspielig, wie unzählige Erfahrungsberichte in Foren belegen. In einem besonders anschaulichen Fall wurde eine Gabel erst nach 90 statt der empfohlenen 50 Stunden zum Service gebracht. Das Ergebnis war laut dem Nutzer, dass das Öl stark verschmutzt und die Schaumstoffringe komplett ausgetrocknet waren, was einen vollständigen Austausch der Dichtungen erforderlich machte. Dies zeigt eindrücklich: Die Herstellerintervalle, besonders bei intensiver Nutzung im feuchten und schlammigen deutschen Herbst und Winter, haben absolut ihre Berechtigung.

Hören Sie auf Ihr Fahrwerk: Wenn die Gabel an Sensibilität verliert oder Geräusche macht, ist es höchste Zeit für einen Service, egal was der Stundenzähler sagt. Ein Service ist die günstigste Leistungssteigerung, die Sie Ihrem Bike gönnen können.

Welche 6 Kriterien definieren Ihr ideales Bike basierend auf realem Nutzungsprofil?

Die Wahl des richtigen Fahrwerks beginnt lange vor der Entscheidung für eine Marke oder ein Modell. Sie beginnt mit einer ehrlichen Analyse Ihrer selbst. Das perfekte Bike ist nicht das, das im Testbericht am besten abschneidet, sondern das, welches wie ein Maßanzug zu Ihrem Körper, Ihrem Fahrstil und vor allem Ihren Heimat-Trails passt. Die Industrie verkauft uns Träume von Whistler und Finale Ligure, aber die Realität sind für die meisten von uns die Trails im heimischen Wald. Und genau dafür muss das Bike optimiert sein. Das Konzept der System-Harmonie ist hier entscheidend: Rahmenkinematik, Federung, Geometrie und sogar die Sitzposition müssen als Einheit funktionieren.

Statt blind auf Marketing-Begriffe zu vertrauen, sollten Sie eine systematische Selbst-Analyse durchführen. Die folgenden Kriterien helfen Ihnen, Ihr Anforderungsprofil zu schärfen und eine fundierte Kaufentscheidung zu treffen. Betrachten Sie es als eine Art Audit für Ihr Biker-Leben.

Ihr Plan zur Fahrprofil-Analyse

  1. Strecken-Inventur: Listen Sie die 5 Trails auf, die Sie am häufigsten fahren. Sind sie flowig, technisch, steil, flach? Dies definiert Ihren wahren Federwegsbedarf.
  2. Fahrstil-Sammlung: Bitten Sie einen Freund, Sie auf Ihren Lieblingstrails zu filmen. Fahren Sie aktiv und verspielt oder eher passiv und „auf Sicherheit“? Dies beeinflusst die benötigte Dämpfungscharakteristik.
  3. Ist-Zustand-Prüfung: Konfrontieren Sie Ihre aktuelle Fahrwerks-Nutzung (z.B. über den O-Ring an der Gabel) mit Ihrem gefühlten Bedarf. Nutzen Sie den Federweg regelmäßig aus oder fahren Sie immer nur im mittleren Bereich?
  4. Werte-Abgleich: Was ist Ihnen wichtiger: Effizienz bergauf oder Reserven bergab? Leichtgewicht oder Robustheit? Seien Sie ehrlich zu sich selbst.
  5. Integrations-Plan: Definieren Sie basierend auf den Ergebnissen 2-3 konkrete Eigenschaften, die Ihr nächstes Bike oder Fahrwerks-Upgrade haben muss (z.B. „progressivere Kennlinie“, „verstellbarer Lenkwinkel“).

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Upgrade-Potenzial. Viele moderne Rahmen sind so konstruiert, dass sie mit unterschiedlichen Dämpferlängen oder Gabeln gefahren werden können, um die Geometrie anzupassen. Ein Lenkwinkel, der sich zwischen 64° (abfahrtsorientiert) und 67° (tourenorientiert) bewegt, bietet enorme Vielseitigkeit. Planen Sie auch eine Budget-Reserve ein. Manchmal ist es klüger, ein günstigeres Komplettbike zu kaufen und später 1.000 € in ein perfekt auf Sie abgestimmtes Custom-Fahrwerk zu investieren.

Wie beeinflussen 2 cm Sattelhöhen-Änderung Ihre optimale Tritt-Technik?

Es mag kontraintuitiv klingen, aber eine der effektivsten Methoden, die Performance Ihrer Hinterbau-Federung zu optimieren, hat nichts mit den Knöpfen am Dämpfer zu tun – es ist die Einstellung Ihrer Sattelhöhe. Eine Veränderung von nur wenigen Zentimetern kann die Anti-Squat-Eigenschaften Ihres Fahrwerks dramatisch beeinflussen und über Wippen oder Vortrieb entscheiden. Anti-Squat ist ein geometrischer Wert, der beschreibt, wie stark der Hinterbau dem Einfedern durch die Kettenzugkraft beim Pedalieren entgegenwirkt.

Das Problem einer zu hohen Sattelposition, gerade bei technischen Anstiegen: Ihr Körperschwerpunkt wandert zu weit nach hinten. Dies komprimiert den Dämpfer übermäßig, der Hinterbau „sackt weg“, und das Vorderrad verliert an Bodenhaftung und steigt. Sie kämpfen gegen das eigene Rad. Eine leicht abgesenkte Sattelposition hält Ihren Schwerpunkt zentraler über dem Tretlager. Dadurch kann die Kinematik des Rahmens optimal arbeiten und das Wippen wird minimiert.

Dies ist keine reine Theorie. In Tests mit Kraftmess-Pedalen und Videoanalysen wird der Effekt sichtbar. Analysen der Gewichtsverteilung zeigen, dass eine optimierte, leicht tiefere Sattelposition in technischen Anstiegen das Pedalwippen um bis zu 30 % reduzieren kann, da der Fahrer zentraler positioniert ist und die Anti-Squat-Eigenschaften des Rahmens besser nutzt. Es geht darum, eine Position zu finden, die einen kraftvollen Tritt erlaubt, ohne die Balance des Bikes zu stören.

Experimentieren Sie aktiv mit Ihrer Sattelhöhe, nicht nur für die Abfahrt, sondern auch für anspruchsvolle Uphills. Eine Vario-Sattelstütze ist hierfür das beste Werkzeug. Finden Sie die „goldene Mitte“, die Ihnen sowohl Effizienz als auch Kontrolle bietet. Denken Sie daran: Nach jeder signifikanten Änderung der Sattelhöhe sollten Sie den SAG des Dämpfers erneut überprüfen, da sich die Gewichtsverteilung auf dem Rad geändert hat.

Das Wichtigste in Kürze

  • Passen Sie den Federweg an Ihr reales Terrain an, nicht an Marketing-Versprechen. Effizienz ist oft wichtiger als maximale Reserven.
  • Ein korrektes Setup (SAG, Zugstufe) ist entscheidender für die Performance als die Marke oder der Preis des Fahrwerks.
  • Regelmäßiger Service ist keine Option, sondern eine technische Notwendigkeit, um teure Schäden zu vermeiden und die Leistung zu erhalten.

Wie wählen Sie Equipment, das wirklich zu Ihrem Fahrstil passt, nicht zum Marketing?

Wir haben nun gesehen, dass Federweg, Marke und Setup komplexe, aber beherrschbare Themen sind. Die größte Herausforderung bleibt jedoch: Wie treffen Sie eine Entscheidung, die auf Fakten basiert und nicht auf dem subjektiven „Gefühl“ einer kurzen Probefahrt oder den blumigen Versprechungen von Marketing-Abteilungen? Selbst das Feedback von Profi-Fahrern ist mit Vorsicht zu genießen, da es von unzähligen externen Faktoren beeinflusst wird. Das eigene Gefühl täuscht oft, besonders wenn man viel Geld für ein neues Teil ausgegeben hat – der sogenannte Bestätigungsfehler lässt grüßen.

Der Schlüssel zur Objektivität liegt in der Datenerfassung. Was vor wenigen Jahren noch Profi-Teams vorbehalten war, ist heute für ambitionierte Amateure zugänglich: Telemetrie. Systeme wie der ShockWiz von Quarq oder Apps wie Sagly analysieren während der Fahrt tausende Male pro Sekunde, wie Ihre Federung arbeitet. Sie zeichnen auf, wie oft Sie den Federweg nutzen, ob Ihre Druck- oder Zugstufe zu schnell oder zu langsam ist und ob der Luftdruck passt.

Diese Systeme geben nach der Fahrt konkrete, datenbasierte Empfehlungen. Anstatt zu raten, sehen Sie schwarz auf weiß, welche Einstellungen für Ihren Fahrstil und Ihre Hausrunde optimal sind. Der größte Vorteil: Sie müssen diese teuren Systeme nicht kaufen. Viele Fahrradläden und Online-Anbieter vermieten Telemetrie-Systeme für ein Wochenende, oft für einen Preis zwischen 50 und 80 Euro. Diese Investition ist wohl die fundierteste Entscheidungshilfe, die Sie vor einem teuren Fahrwerkskauf oder -upgrade treffen können. Sie liefert objektive Daten darüber, was Sie wirklich brauchen, und entlarvt, welche Features für Sie reines Marketing sind.

Am Ende des Tages geht es darum, die Kontrolle zurückzugewinnen. Verlassen Sie sich nicht auf fremde Meinungen, sondern auf messbare Fakten über Ihren eigenen Fahrstil. So finden Sie garantiert das Equipment, das Sie schneller, sicherer und glücklicher macht.

Hören Sie auf, Spezifikationen zu jagen, und beginnen Sie, Ihr Fahrverhalten zu analysieren. Der nächste logische Schritt ist, die hier gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Suchen Sie einen qualifizierten Fachhändler auf, um ein professionelles Fahrwerks-Setup durchführen zu lassen oder die Miete eines Telemetrie-Systems zu besprechen.

Geschrieben von Thomas Müller, Thomas Müller ist Diplom-Ingenieur für Biomechanik und seit 13 Jahren spezialisiert auf Bike-Fitting, Bewegungsanalyse und fahrradspezifische Ergonomie. Er betreibt ein Bike-Fitting-Studio in München mit 3D-Bewegungsanalyse-Equipment und hat über 2.500 Sitzpositions-Optimierungen durchgeführt.