Veröffentlicht am März 15, 2024

Wahre mentale Härte im Radsport ist kein angeborenes Talent, sondern eine systematisch trainierbare Fähigkeit, die auf einer gefestigten Identität beruht – nicht auf kurzlebiger Willenskraft.

  • Der entscheidende Unterschied zwischen Aufgeben und Durchhalten liegt im psychobiologischen Modell: Das Gehirn, nicht der Körper, initiiert den Abbruch.
  • Gezielte „Unbequemlichkeits-Einheiten“ und datengestütztes Training (z.B. mit HRV) sind effektiver als blinder Durchhaltewille und verhindern Übertraining.

Empfehlung: Beginnen Sie damit, jede Fahrt als eine „Stimme“ für Ihre neue Identität als mental starker Fahrer zu sehen, anstatt sie nur als Kilometerleistung zu betrachten.

Es ist ein Szenario, das jeder ambitionierte Radfahrer in Deutschland kennt: Kilometer 80 einer 100-km-Tour. Der Gegenwind peitscht, ein feiner Nieselregen setzt ein und die Beine brennen. Neben Ihnen fährt ein Freund scheinbar unbeeindruckt weiter, während in Ihrem Kopf eine Stimme immer lauter wird: „Warum tust du dir das an? Du könntest jetzt zu Hause auf dem Sofa sitzen.“ Schließlich geben Sie auf. Diese Erfahrung, die so viele der Radsport-Begeisterten hierzulande machen, wirft eine fundamentale Frage auf. Angesichts von 5,59 Millionen Menschen in Deutschland mit besonderem Interesse am Radsport und einer riesigen Community, ist die Frage nach der mentalen Komponente relevanter denn je.

Die üblichen Ratschläge – „beiß die Zähne zusammen“, „denk positiv“ – fühlen sich in solchen Momenten hohl und nutzlos an. Sie sind die Pflaster auf einer Wunde, deren Ursache tiefer liegt. Wir versuchen, mit reiner Willenskraft eine Mauer zu durchbrechen, die unser eigenes Gehirn errichtet hat. Doch was, wenn der wahre Unterschied zwischen den Profis, die auch bei widrigsten Bedingungen ihre Leistung abrufen, und den Amateuren, die an der nächsten Steigung scheitern, gar nicht in der schieren Willenskraft liegt? Was, wenn die Antwort in einer viel stabileren, tiefer verankerten Eigenschaft zu finden ist: der eigenen Identität?

Dieser Artikel bricht mit der Vorstellung, dass mentale Härte ein Kampf ist, den man bei jeder Ausfahrt aufs Neue gewinnen muss. Stattdessen zeigen wir Ihnen einen systematischen Weg, wie Sie Durchhaltevermögen zu einem festen Bestandteil Ihres Charakters als Radfahrer machen. Es geht nicht darum, härter zu kämpfen, sondern darum, klüger zu trainieren und sich selbst neu zu definieren. Sie werden lernen, wie Sie Ihre Psyche gezielt stärken, die Signale Ihres Körpers richtig deuten und eine Resilienz aufbauen, die weit über die nächste Tour hinaus Bestand hat.

Um diesen Weg zur mentalen Souveränität greifbar zu machen, beleuchten wir die entscheidenden Aspekte Schritt für Schritt. Von den psychologischen Gründen des Aufgebens bis hin zu einem konkreten 3-Monats-Plan finden Sie hier die Werkzeuge, um Ihre mentale Leistung auf ein neues Niveau zu heben.

Warum beenden manche Fahrer 100-km-Touren bei Gegenwind, während andere aufgeben?

Die Antwort liegt selten in der physischen Kapazität allein. Vielmehr ist es eine Kluft in der mentalen Architektur. Während der eine Fahrer die Widrigkeit als unüberwindbares Hindernis wahrnimmt, sieht der andere sie als integralen Bestandteil der Herausforderung – als eine Gelegenheit, die eigene Stärke zu beweisen. Diese Perspektive ist kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielten mentalen Trainings und einer gefestigten inneren Haltung. Es ist der Unterschied zwischen „Ich muss durch diesen Wind“ und „Ich bin die Art von Fahrer, die auch bei Wind ihre Leistung bringt“.

Ein eindrucksvolles Beispiel für diese mental geprägte Leistungsfähigkeit ist der Erfolg von Ultracycling-Weltmeister Rainer Steinberger beim Race around Poland 2024. Ein solches Rennen wird nicht nur mit den Beinen, sondern vor allem im Kopf gewonnen. Strategische Planung, Schmerzmanagement und ein unerschütterlicher Glaube an die eigene Fähigkeit, Grenzen zu verschieben, sind hier entscheidend. Was Profis wie ihn auszeichnet, ist nicht die Abwesenheit von Schmerz oder Zweifel, sondern die Fähigkeit, diese Empfindungen zu managen und sie nicht die Kontrolle übernehmen zu lassen.

Diese Fähigkeit, die mentale Kontrolle zu behalten, wenn die physische Anstrengung zunimmt, ist der Kern der mentalen Härte. Sie manifestiert sich in der Fähigkeit, den Fokus auf den Prozess statt auf das Unbehagen zu richten und die Anstrengung als produktiven Schritt zum Ziel zu interpretieren. Der Amateur kämpft gegen den Schmerz, der mental starke Fahrer arbeitet mit ihm. Diese grundlegende Unterscheidung ist der erste Schritt zur Transformation Ihrer eigenen Leistungsfähigkeit.

Wie trainieren Sie Durchhaltevermögen durch gezielte 10-Minuten-Unbequemlichkeits-Einheiten?

Mentale Härte wird nicht durch einmalige heroische Anstrengungen geformt, sondern durch konsistente, dosierte Konfrontation mit Unbehagen. Anstatt auf den nächsten Wettkampf oder die nächste Extremtour zu warten, integrieren Sie gezielte, kurze Phasen der Herausforderung in Ihr reguläres Training. Das Konzept des „Unbequemlichkeits-Trainings“ basiert darauf, die Komfortzone systematisch und in kleinen Schritten zu verlassen, um die psychische Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.

Statt einer ganzen Stunde im Regen zu fahren, planen Sie bewusst, die letzten 10 Minuten Ihrer Einheit trotz einsetzenden Regens durchzuziehen. Statt den Anstieg komplett zu meiden, nehmen Sie sich vor, nur die erste, steilste Rampe mit voller Konzentration zu fahren. Diese kurzen, kontrollierten Einheiten lehren Ihr Gehirn, dass Unbehagen beherrschbar und temporär ist. Sie bauen eine „Toleranz“ gegenüber den Stressoren auf, die Sie sonst zum Aufgeben verleiten würden.

Hier sind einige konkrete Methoden, die Sie in 10-Minuten-Blöcken trainieren können:

  • Fokus auf die Atmung: Fahren Sie einen kurzen, intensiven Abschnitt und konzentrieren Sie sich ausschließlich auf eine tiefe, gleichmäßige Bauchatmung. Dies schult Ihre Fähigkeit, unter Stress physiologisch ruhig zu bleiben.
  • Kadenz-Variationen: Fahren Sie 10 Minuten bewusst mit einer ungewohnt hohen (100-110 U/min) oder niedrigen (60-70 U/min) Trittfrequenz. Dies durchbricht die Routine und fordert Ihre muskuläre und mentale Anpassungsfähigkeit.
  • Sensorische Deprivation: Schalten Sie für 10 Minuten Ihre Musik und Ihren Radcomputer-Bildschirm aus. Konzentrieren Sie sich nur auf Ihr Körpergefühl, den Rhythmus Ihres Tritts und die Umgebung. Dies stärkt die Körperwahrnehmung (Propriozeption).
  • Intervall-Start bei Ermüdung: Beginnen Sie eine kurze, intensive Intervalleinheit nicht am Anfang, sondern gegen Ende Ihres Trainings, wenn Sie bereits müde sind. Dies simuliert die Schlussphase eines Rennens.

Gegenwind, Regen oder Schmerz: Welche mentale Strategie für welche Widrigkeit?

Ein mental starker Athlet verfügt nicht nur über eine einzige „Durchbeiß“-Mentalität, sondern über ein Arsenal an Strategien, das er je nach Art der Herausforderung gezielt einsetzt. Die Widrigkeiten auf dem Rad lassen sich grob in externe Faktoren (Wetter, Strecke) und interne Faktoren (Schmerz, Müdigkeit, Zweifel) unterteilen. Jede Kategorie erfordert einen anderen mentalen Ansatz.

Radfahrer kämpft sich durch Regen und Wind auf deutscher Landstraße

Externe Faktoren wie Gegenwind oder Regen sind nicht kontrollierbar. Der Versuch, gegen sie anzukämpfen, führt nur zu Frustration und Energieverschwendung. Hier ist die erfolgreichste Strategie die Akzeptanz und Anpassung. Anstatt sich über den Wind zu ärgern, akzeptieren Sie ihn als Teil der heutigen Tour und passen Ihre Technik an: eine aerodynamischere Haltung, ein kleinerer Gang, eine höhere Trittfrequenz. Sie verwandeln den Kampf in ein technisches Problem, das gelöst werden muss.

Radsportler leben mit Schmerz. Wer keinen Schmerz aushält, wird nichts gewinnen. Es gewinnt der, der am meisten leiden kann.

– Eddy Merckx

Bei internen Faktoren wie Schmerz wird die Strategie differenzierter. Hier kommt die Unterscheidung zwischen Assoziation und Dissoziation ins Spiel. Bei „gutem“ Schmerz – der brennenden Anstrengung in den Muskeln – kann Dissoziation helfen: Man lenkt die Aufmerksamkeit weg vom Schmerz, zählt seine Kurbelumdrehungen, singt innerlich ein Lied. Bei „schlechtem“ Schmerz – einem stechenden Signal im Knie – ist Assoziation überlebenswichtig: Man richtet die volle Aufmerksamkeit auf das Signal, analysiert es und passt die Belastung an, um eine Verletzung zu vermeiden. Die folgende Tabelle fasst die Kernstrategien zusammen.

Mentale Strategien für verschiedene Widrigkeiten
Widrigkeit Strategie Konkrete Anwendung
Externe Faktoren (Wind, Regen) Akzeptanz & Anpassung Widrigkeiten als Teil des Plans akzeptieren, Technik anpassen (aerodynamische Position, Trittfrequenz)
Interne Faktoren (Schmerz, Ermüdung) Assoziation vs. Dissoziation Bei produktivem Schmerz: Dissoziation durch mentale Ablenkung; Bei Warnsignalen: Assoziation und auf Körper hören
Mentale Erschöpfung Chunking-Strategie Große Herausforderung in kleine, machbare Abschnitte unterteilen (‚bis zur nächsten Kurve‘)
Leistungsplateau Visualisierung Sich mental die erfolgreiche Überwindung vorstellen, positive Erinnerungen abrufen

Die toxische Durchhalte-Mentalität, die bei 30% zu ernsten Verletzungen führt

Im Streben nach Härte gibt es eine gefährliche Fehlinterpretation: die Verwechslung von mentaler Stärke mit sturem Ignorieren von Körpersignalen. Diese „toxische Härte“ ist die Mentalität, die flüstert: „Schmerz ist nur Schwäche, die den Körper verlässt“, selbst wenn das Knie stechend warnt. Dieser Ansatz führt nicht zu Resilienz, sondern direkt ins Übertraining, zu chronischen Verletzungen und letztendlich zum Burnout. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 30% der ernsthaften, nicht unfallbedingten Verletzungen im Amateursport auf das bewusste Übergehen solcher Warnsignale zurückzuführen sind.

Wahre mentale Stärke beinhaltet die Intelligenz, zwischen produktivem Anstrengungsschmerz und destruktivem Warnschmerz zu unterscheiden. Statt blind weiterzufahren, nutzt ein mental starker Athlet objektive Daten, um seine Tagesform zu bewerten. Ein entscheidender, aber oft übersehener Indikator ist die Herzfrequenzvariabilität (HRV). Die HRV misst die winzigen Zeitunterschiede zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen. Eine hohe Variabilität signalisiert ein erholtes, anpassungsfähiges Nervensystem, das bereit für hohe Belastungen ist. Eine konstant niedrige HRV ist ein klares Warnsignal für akkumulierten Stress und unzureichende Regeneration.

Moderne Wearables und Brustgurte ermöglichen eine einfache tägliche Messung. Ein Wert von über 100 Millisekunden gilt bei vielen als gesund, entscheidend ist jedoch der individuelle Trend. An einem Tag mit niedriger HRV ein hartes Intervalltraining durchzuziehen, ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Ignoranz. Intelligente Härte bedeutet, an diesem Tag eine regenerative Einheit einzulegen, um dem Körper die nötige Erholung zu geben und am nächsten Tag wieder voll angreifen zu können.

Fallstudie: Leistungssteigerung durch HRV-gesteuertes Training

Eine Studie mit 16 erfahrenen Läufern demonstrierte eindrucksvoll die Macht des datengestützten Trainings. Die Versuchsgruppe passte ihr Training zwei Wochen lang täglich an ihre HRV-Werte an: Bei niedriger HRV wurde nur locker trainiert, bei hoher HRV intensiv. Das Ergebnis war eine signifikante Leistungsverbesserung. Die Kontrollgruppe, die einem starren Plan folgte, zeigte keine Veränderung. Dies belegt, dass das Hören auf die objektiven Daten des Körpers zu besseren Ergebnissen führt als stures Festhalten an einem Plan.

Wie wird Durchhalten Teil Ihrer Identität statt willensbasierter Anstrengung?

Der nachhaltigste Weg zu mentaler Härte führt über eine grundlegende Verschiebung der Perspektive: von einer handlungsbasierten zu einer identitätsbasierten Herangehensweise. Solange „Durchhalten“ etwas ist, das Sie mit reiner Willenskraft *tun* müssen, wird es immer ein anstrengender, endlicher Kampf bleiben. Willenskraft ist wie ein Muskel, der ermüdet. Das Ziel ist es, Durchhaltevermögen zu etwas zu machen, das Sie *sind*.

Fragen Sie sich nicht: „Habe ich heute die Kraft, den Berg hochzufahren?“, sondern etablieren Sie den Glaubenssatz: „Ich bin die Art von Radfahrer, die Berge bezwingt.“ Jede einzelne Trainingseinheit, jede bewältigte Herausforderung ist dann keine isolierte Anstrengung mehr, sondern wird zu einer „Stimme“, die Sie für diese neue Identität abgeben. Eine Fahrt im Regen ist keine Qual, sondern der Beweis dafür, dass Sie ein Allwetter-Fahrer sind. Das frühe Aufstehen für eine morgendliche Einheit ist kein Opfer, sondern die Bestätigung, dass Sie ein disziplinierter Athlet sind.

Radfahrer erreicht Berggipfel mit erhobenen Armen im Triumph

Diese Umdeutung, auch „Narrative Reframing“ genannt, ist ein mächtiges Werkzeug. Sie verändern die Geschichte, die Sie sich über sich selbst erzählen. Aus „Ich musste heute leiden“ wird „Ich habe heute meine Fähigkeit zu leiden trainiert“. Dieser Wandel macht Sie unabhängig von externer Motivation oder Tagesstimmung. Ihre Handlungen folgen Ihrer Identität, nicht umgekehrt. Wenn Sie sich als jemand definieren, der Herausforderungen meistert, wird das Meistern von Herausforderungen zur logischen Konsequenz.

Ihr Aktionsplan: Vom Handeln zum Sein

  1. Identitäts-Journal führen: Notieren Sie nach jeder Fahrt 1-2 Sätze, was diese Fahrt über Sie als Radfahrer aussagt (z.B. „Heute trotz Müdigkeit gefahren = Ich bin konsequent“).
  2. Narrative umformulieren: Achten Sie auf Ihre interne Sprache. Ersetzen Sie „Ich muss“ durch „Ich entscheide mich“ oder „Ich bin jemand, der…“.
  3. Jede Einheit als Abstimmung sehen: Visualisieren Sie vor jeder Fahrt, dass Sie mit dieser Einheit eine Stimme für Ihre Wunsch-Identität abgeben.
  4. Rituale etablieren: Integrieren Sie kleine mentale Übungen (z.B. 2 Minuten Visualisierung) fest in Ihre Routine vor jeder Fahrt, um die mentale Komponente zur Gewohnheit zu machen.
  5. Erfolge bewusst verankern: Reflektieren Sie wöchentlich, welche kleinen mentalen Siege Sie errungen haben und wie diese Ihre neue Identität als widerstandsfähiger Athlet stärken.

Warum geben 70% mental auf, wenn noch 30% des Anstiegs zu fahren sind?

Dieses Phänomen, das viele Radfahrer aus eigener Erfahrung kennen, lässt sich wissenschaftlich erklären. Es ist selten ein rein physisches Versagen der Muskeln. Der entscheidende Moment findet im Kopf statt und wird durch das psychobiologische Modell der Ausdauerleistung von Professor Samuele Marcora beschrieben. Dieses Modell postuliert, dass der Abbruch einer Anstrengung nicht dann erfolgt, wenn die Muskeln absolut am Ende sind, sondern wenn die wahrgenommene Anstrengung (Rate of Perceived Exertion, RPE) ein maximales, für den Sportler akzeptables Niveau erreicht.

Bei etwa 70% einer maximalen Anstrengung, wie einem langen Anstieg, gerät das Gehirn in eine Art Panikmodus. Es antizipiert die noch verbleibende Restbelastung (die letzten 30%) und projiziert, dass die Anstrengung das individuell tolerierbare Maß überschreiten wird. Es ist ein unbewusster Abwägungsprozess: Der erwartete „Preis“ für das Beenden der Aufgabe erscheint höher als der „Gewinn“.

Das Gehirn antizipiert die Gesamtanstrengung und gerät bei 70% in Panik, weil die wahrgenommene Anstrengung das erwartete Maß übersteigt. Ein psychischer Abwägungsprozess entscheidet letztlich über den Belastungsabbruch.

– Samuele Marcora, Psychobiologisches Modell der Ausdauerleistung

Genau hier setzen mentale Strategien an. Techniken wie die „Chunking-Strategie“ (das Zerlegen des Anstiegs in kleine Abschnitte wie „nur bis zur nächsten Kurve“) oder positive Selbstgespräche zielen darauf ab, diese wahrgenommene Anstrengung zu manipulieren. Sie „überlisten“ das Gehirn, indem sie den Fokus von der gewaltigen Gesamtaufgabe auf ein kleines, machbares Ziel lenken. Wenn das Gehirn glaubt, die Anstrengung sei beherrschbar, sendet es weniger Alarmsignale und erlaubt dem Körper, seine physischen Reserven weiter auszuschöpfen. Aufgeben ist also in den meisten Fällen eine Entscheidung des Gehirns, nicht ein Versagen des Körpers.

Wie steigern Sie systematisch Ihre physische und mentale Belastbarkeit in 3 Monaten?

Die Entwicklung von mentaler und physischer Resilienz sollte Hand in Hand gehen. Ein strukturierter Ansatz, der beide Aspekte integriert, ist weitaus effektiver als sporadische Bemühungen. Ein 3-Monats-Plan kann als Rahmen dienen, um die im Frühjahr gelegten Grundlagen gezielt auf die ersten Jedermann-Rennen oder die großen Touren im Sommer auszurichten. Der Schlüssel liegt in der progressiven Steigerung der Belastung – sowohl körperlich als auch geistig.

Der Plan kombiniert klassische Trainingsprinzipien mit den zuvor beschriebenen mentalen Techniken. Während im ersten Monat der Fokus auf dem Aufbau einer soliden Grundlagenausdauer liegt, werden parallel dazu die mentalen Basis-Fähigkeiten wie Körperwahrnehmung und Stressregulation durch Atemübungen geschult. Im zweiten Monat wird die Intensität mit Schwellentraining erhöht, während mental die Anwendung konkreter Strategien (z.B. Chunking, Dissoziation) im Training erprobt wird. Der dritte Monat dient der wettkampfspezifischen Vorbereitung, bei der intensive Belastungen mit der Verankerung der neuen, resilienten Identität kombiniert werden.

Die große und aktive Radsport-Community, zu der allein in Deutschland rund 4,2 Millionen Männer zählen, die häufig oder ab und zu Rennrad fahren, bietet zudem ein ideales Umfeld, um sich in Gruppenfahrten gegenseitig zu fordern und zu unterstützen. Die folgende Tabelle skizziert einen beispielhaften Aufbau.

3-Monats-Plan zur integrierten physischen und mentalen Entwicklung
Monat Physisches Training Mentales Training Zielsetzung
Monat 1 (z.B. März) Grundlagenausdauer aufbauen (GA1/GA2) 10-Min Unbequemlichkeits-Drills, Atemübungen Basis schaffen, Körperwahrnehmung schulen
Monat 2 (z.B. April) Schwellentraining (SST) & VO2max-Intervalle integrieren Strategie-Anwendung im Training, Visualisierung Belastbarkeit steigern, mentale Techniken testen
Monat 3 (z.B. Mai) Wettkampfspezifische Belastungen, Tapering Identitäts-Journaling, Wettkampfvisualisierung Peak-Performance für erste Jedermann-Rennen

Das Wichtigste in Kürze

  • Wahre mentale Härte basiert auf einer gefestigten Identität als widerstandsfähiger Athlet, nicht auf erschöpfbarer Willenskraft.
  • Das Ignorieren von Warnsignalen („toxische Härte“) führt zu Verletzungen; objektive Daten wie die HRV sind entscheidend für ein intelligentes Training.
  • Systematisches, kurzes „Unbequemlichkeits-Training“ ist effektiver, um die psychische Resilienz zu steigern, als sporadische heroische Anstrengungen.

Wie erhöhen Sie Ihre Stresstoleranz um 40% ohne Ihre Gesundheit zu gefährden?

Die Fähigkeit, unter Druck ruhig und fokussiert zu bleiben – sowohl auf dem Rad als auch im Alltag – ist das ultimative Zeichen von mentaler Stärke. Eine erhöhte Stresstoleranz schützt nicht nur vor Übertraining und Verletzungen, sondern verbessert auch die allgemeine Lebensqualität. Das Ziel ist es, die Belastbarkeit des autonomen Nervensystems gezielt zu trainieren, und der Schlüssel dazu liegt in der intelligenten Steuerung von Belastung und Erholung.

Ein zentraler Hebel ist die bereits erwähnte Herzfrequenzvariabilität (HRV). Durch die Optimierung von Faktoren, die die HRV positiv beeinflussen, können Sie Ihre Fähigkeit, Stress zu verarbeiten, nachweislich steigern – oft um bis zu 40% innerhalb weniger Monate. Dies geschieht nicht durch härteres, sondern durch klügeres Training und einen bewussteren Lebensstil. Aktive Erholung nach harten Einheiten, beispielsweise durch lockeres Ausfahren, aktiviert das parasympathische (erholungsfördernde) Nervensystem und beschleunigt die Regeneration.

Ebenso entscheidend ist die Schlafhygiene. 7-8 Stunden qualitativ hochwertiger Schlaf pro Nacht sind die nicht verhandelbare Grundlage für jede Form von Regeneration und Anpassung. Ergänzend dazu können tägliche, kurze Achtsamkeitsübungen von nur 10 Minuten, z.B. über Apps wie 7Mind oder Headspace, die Stressreaktion des Körpers nachweislich dämpfen. Schließlich bieten sich in Deutschland auch kulturell verankerte Methoden wie regelmäßige Saunagänge oder das „Waldbaden“ (Shinrin-yoku) an, deren positive Effekte auf die Stressreduktion und Resilienz wissenschaftlich gut belegt sind.

Indem Sie diese Prinzipien konsequent anwenden, bauen Sie eine robuste mentale Stärke auf, die Sie nicht nur schneller auf dem Rad, sondern auch widerstandsfähiger im Leben macht. Beginnen Sie noch heute damit, nicht nur härter zu trainieren, sondern sich selbst durch intelligentes, identitätsbasiertes Training neu zu definieren.

Häufig gestellte Fragen zur mentalen Stärke und HRV

Was bedeutet eine niedrige HRV für mein Training?

Eine niedrige HRV signalisiert unvollständige Regeneration und ein erhöhtes Übertrainingsrisiko. An solchen Tagen sollten Sie nur lockeres oder gar kein Training absolvieren, um dem Körper Zeit zur Erholung zu geben.

Wie schnell kann ich meine HRV verbessern?

Durch bessere Schlafhygiene, Atemübungen und eine ausgewogene Trainingsbelastung können erste positive Trends bereits nach 2-3 Wochen messbar sein. Nachhaltige und stabile Veränderungen Ihrer Stresstoleranz zeigen sich typischerweise nach 8-12 Wochen konsequenten Trainings.

Sind HRV-Werte zwischen Personen vergleichbar?

Nein, HRV ist ein hochindividueller Wert. Was für eine Person ein exzellenter Wert ist, kann für eine andere niedrig sein. Entscheidend ist nicht der absolute Wert, sondern Ihre persönliche Tendenz und die tägliche Abweichung von Ihrem eigenen Durchschnittswert.

Geschrieben von Sarah Weber, Dr. Sarah Weber ist promovierte Sportpsychologin mit 14 Jahren Erfahrung in der Betreuung von Ausdauer- und Extremsportlern. Sie ist zertifizierte Psychologische Psychotherapeutin und arbeitet als Leiterin der sportpsychologischen Abteilung an einem Olympiastützpunkt in Deutschland.