Veröffentlicht am März 15, 2024

Die Souveränität auf schmalen Trails entspringt nicht statischem Gleichgewicht, sondern der meisterhaften Kontrolle über kontinuierliche Mikro-Déséquilibres.

  • Der Schlüssel ist die bewusste Dissoziation: Der Blick fixiert den Ausgang des Trails, während die Hüfte unabhängige Mikro-Impulse zur Korrektur gibt.
  • Bremsen sind kein reines Verzögerungswerkzeug, sondern dienen der aktiven Positionierung und Stabilisierung vor und auf dem Hindernis.

Empfehlung: Trainieren Sie nicht, still zu stehen, sondern üben Sie bewusst das kontrollierte „Kippen“ und die sofortige Korrektur. Ihre nächste Ausfahrt wird sich transformieren.

Stellen Sie sich diese Szene vor, die Sie sicher nur zu gut kennen: Ein herrlicher Single-Trail im Wald, die Bäume rauschen, der Boden duftet erdig. Doch plötzlich verengt sich der Pfad auf die Breite eines Handtuchs. Links geht es leicht bergab, rechts kratzen Äste. Die anfängliche Freude weicht einer leichten Panik. Sie spannen sich an, Ihr Blick erstarrt auf dem Vorderrad, und drei Sekunden später – der gefürchtete Moment – setzen Sie einen Fuß ab. Die Magie ist verflogen. Sie haben sicher schon alle gängigen Ratschläge gehört: „Blick weit nach vorn!“, „Schwerpunkt tief halten!“ oder „Bleib locker!“. Und obwohl diese Tipps im Kern richtig sind, kratzen sie nur an der Oberfläche eines viel tieferen Prinzips.

Die meisten Fahrer scheitern auf schmalen Passagen, weil sie einem fundamentalen Missverständnis unterliegen. Sie jagen einem Trugbild hinterher: dem des perfekten, statischen Gleichgewichts. Doch was wäre, wenn ich Ihnen als Ihr Coach sage, dass das Ziel nicht die Vermeidung jeglicher Bewegung ist, sondern die souveräne Kontrolle über das ständige Ungleichgewicht? Die Fähigkeit, auf einem Trail zu tanzen, statt zu versuchen, wie eine Statue darauf zu verharren. Es geht um die Beherrschung von Mikro-Impulsen aus der Hüfte, einer bewussten Blick-Hüfte-Dissoziation und dem Verständnis für die sensorischen Inputs, die Ihnen Ihr Fahrrad jede Millisekunde sendet.

Dieser Artikel wird Sie nicht mit denselben abgedroschenen Phrasen langweilen. Stattdessen werden wir gemeinsam, wie in einer persönlichen Fahrtechnikstunde, die biomechanischen Prinzipien zerlegen, die den Unterschied zwischen Absteigen und souveränem Durchgleiten ausmachen. Wir werden die Physik hinter dem gefürchteten „Wurzel-Fehler“ beleuchten, die richtige Bremstechnik für Felsen im deutschen Mittelgebirge analysieren und konkrete Übungen durchgehen, die Ihre Tiefenmuskulatur auf die feinen Korrekturbewegungen programmieren. Bereiten Sie sich darauf vor, Ihr Verständnis von Balance grundlegend zu ändern.

Um diese Fähigkeiten systematisch aufzubauen, führt Sie dieser Leitfaden Schritt für Schritt durch die entscheidenden Aspekte der Trail-Beherrschung. Von den mentalen Grundlagen der Blickführung bis hin zu den physischen Techniken für spezifische Hindernisse – jede Sektion baut auf der vorherigen auf, um Ihnen ein komplettes Bild zu vermitteln.

Warum kippen Sie auf schmalen Trails nach 3 Sekunden zur Seite?

Der Moment des Absteigens auf einem schmalen Pfad fühlt sich oft wie plötzliches Versagen an, aber die Ursache liegt meist in einem Prozess, den ich die „statische Falle“ nenne. Konfrontiert mit einer heiklen Passage, versuchen die meisten Fahrer instinktiv, sich und das Rad komplett zu stabilisieren und jede Bewegung einzufrieren. Genau das ist der Fehler. Ein Fahrrad ist in langsamer Fahrt von Natur aus instabil. Wahre Balance ist kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess: eine endlose Serie von winzigen, kontrollierten Stürzen und sofortigen Korrekturen. Wenn Sie versuchen, sich zu versteifen, werden Ihre Korrekturbewegungen am Lenker zu grob und übersteuert, was unweigerlich zum seitlichen Kippen führt.

Die Lösung liegt nicht in den Armen, sondern tief in Ihrem Rumpf. Es geht darum, die kleinen, schnellen Ausgleichsbewegungen der Tiefenmuskulatur zu aktivieren. Diese Muskeln reagieren viel schneller und feiner als die großen Muskelgruppen Ihrer Arme und Schultern. Anstatt mit dem Lenker zu rudern, lernen Sie, minimale Impulse aus Ihrer Hüfte zu geben und mit den Knien seitlich zu balancieren. Stellen Sie sich vor, Ihr Oberkörper bleibt ruhig und auf den Trail-Ausgang ausgerichtet, während Ihr Fahrrad unter Ihnen wie ein Pendel sanft von Seite zu Seite tanzt. Dies ist das Prinzip des „kontrollierten Kippens“.

Dieses feine Muskelspiel ist entscheidend, um in heiklen Passagen stabil zu bleiben. Experten bestätigen, dass gezieltes Training hier den Unterschied macht. So heißt es in einer Analyse zum Thema Gleichgewicht, dass erst durch gezielte Balance-Übungen die Tiefenmuskulatur angesteuert wird, die für diese kleinen, aber entscheidenden Ausgleichsbewegungen auf dem Trail benötigt wird. Ohne diese trainierte Muskulatur fehlt Ihnen das feinfühlige Werkzeug, um der statischen Falle zu entkommen. Ein weiterer simpler, aber effektiver Faktor ist der Reifendruck: Schon 0,2 bar weniger Druck können auf feuchtem Waldboden den nötigen Mikrogrip erzeugen, der Ihnen die entscheidenden Millisekunden für eine Korrektur verschafft.

Wohin müssen Sie schauen, um einen wurzeligen Single-Trail fehlerfrei zu fahren?

Die Regel „Blick weit voraus“ ist die wohl bekannteste Fahrtechnik-Weisheit, aber auch die am meisten missverstandene. Viele Fahrer starren einfach nur stur in die Ferne und übersehen dabei, dass die Blickführung eine zweigeteilte Aufgabe hat. Es geht um die bewusste Dissoziation zwischen zentralem und peripherem Sehen. Ihr zentraler, fokussierter Blick hat nur eine einzige Aufgabe: den „Ausgang“ der Sektion zu fixieren – also den Punkt, an dem der schwierige Abschnitt endet und der Trail wieder flüssiger wird. Indem Sie Ihrem Gehirn dieses Fernziel vorgeben, programmieren Sie quasi die globale Richtung Ihrer Fahrt.

Dieser feste Fixpunkt hat einen fast magischen Effekt: Er befreit Ihre unterbewusste Wahrnehmung. Ihr peripheres Sehen, also alles, was Sie aus den Augenwinkeln wahrnehmen, kann sich nun um die unmittelbaren Gefahren kümmern: die nasse Wurzel links, den spitzen Stein rechts. Sie scannen diese Hindernisse, ohne sie direkt anzustarren. Ihr Körper, insbesondere Ihre Hüfte und Beine, wird auf Basis dieser peripheren Informationen automatisch die notwendigen Mikro-Impulse einleiten, um die Ideallinie zu halten. Starren Sie hingegen eine einzelne Wurzel direkt an, passiert das, was wir im Coaching „Target Fixation“ nennen: Sie fahren exakt dorthin, wo Sie nicht hinfahren wollen.

Mountainbiker mit fokussiertem Blick navigiert durch wurzelige Waldpassage

Eine effektive Technik ist das „Punkt-zu-Punkt-Scannen“. Anstatt den Blick wandern zu lassen, lassen Sie ihn bewusst von einem sicheren Punkt zum nächsten springen und bilden so eine virtuelle Linie im Kopf. Besonders wichtig ist dies bei schnellen Licht-Schatten-Wechseln, wie sie in deutschen Wäldern typisch sind. Schauen Sie hier aktiv „in den Schatten hinein“, um Ihren Augen Zeit zur Adaption zu geben. Laut einer Anleitung zur Verbesserung der Balance ist das Hochhalten des Kopfes und das Vermeiden des Blicks direkt vor das Vorderrad die Grundlage für jede weitere Technik. Es ist die Basis, die es dem Körper erst erlaubt, autonom und korrekt zu arbeiten.

Vorder- oder Hinterradbremse beim Überfahren von Felsen: Was wann?

Die Frage nach der richtigen Bremse in technischen Passagen ist weniger eine „Entweder-oder“-Entscheidung als vielmehr eine Frage des Timings und der Funktion. Anfänger fürchten oft die Vorderradbremse, weil sie mit Überschlagsgefühlen verbunden wird. Profis hingegen wissen: Die Vorderradbremse ist Ihr stärkstes Werkzeug zur Geschwindigkeitskontrolle und Stabilisierung, während die Hinterradbremse eher zur Spurkorrektur und Einleitung von Rotationen dient. Beim Überfahren von Felsen kommt es entscheidend darauf an, wann und wie Sie diese Werkzeuge einsetzen.

Die goldene Regel lautet: Der Großteil der Bremsarbeit (ca. 90%) muss vor dem Hindernis abgeschlossen sein. Nutzen Sie die Vorderradbremse auf griffigem Untergrund, um Ihre Geschwindigkeit präzise auf das richtige Maß zu reduzieren. In dem Moment, in dem Ihr Vorderrad den Felsen berührt, müssen die Bremsen, insbesondere die vordere, offen sein! Bremsen auf dem Hindernis selbst, besonders auf moosigen oder nassen Felsen, wie sie im Mittelgebirge häufig vorkommen, führt fast sicher zum Blockieren und Wegrutschen des Rades. Die Hinterradbremse können Sie dabei ganz sachte zur Feinjustierung nutzen oder um in einer engen Kehre vor dem Felsen das Heck gezielt leicht ausbrechen zu lassen.

Der Untergrund und die Art des Hindernisses diktieren die genaue Dosierung. Auf großen, griffigen Felsplatten, wie man sie in den Alpen findet, können Sie kräftiger und später bremsen. Auf einem Feld aus kleineren, losen Steinen oder feuchten Wurzeln zwischen den Felsen hingegen ist maximale Sensibilität gefragt. Hier geht es darum, die Bremsen immer wieder kurz zu öffnen, um den Reifen die Chance zu geben, Grip aufzubauen.

Die folgende Matrix, basierend auf gängigen Geländetypen in Deutschland, fasst die Prinzipien zusammen und dient als hervorragender Leitfaden, wie eine Analyse verschiedener MTB-Fähigkeiten zeigt.

Bremstechnik-Matrix für verschiedene Untergründe
Untergrund Vorderradbremse Hinterradbremse Timing
Große Felsplatten (Alpen) Stabilisiert vor dem Felsen Minimal dosiert 90% vor Hindernis
Moosige Felsen (Mittelgebirge) Sehr vorsichtig Sensibler einsetzen Bremsen öffnen auf Felsen
Enge Kehren Reduziert Rotationsbewegung einleiten Kontinuierlich dosiert
Wurzelfelder Vor dem Feld Leicht nachregeln Auf Wurzeln offen lassen

Der Wurzel-Fehler, der in 80% der Fälle zum Frontsturz führt

Es ist einer der häufigsten und schmerzhaftesten Stürze auf dem Trail: das plötzliche Wegrutschen des Vorderrads auf einer nassen Wurzel, das oft in einem unkontrollierten Frontalsturz endet. Die meisten Fahrer geben der glitschigen Wurzel die Schuld, doch die wahre Ursache ist fast immer ein einfacher, aber fataler physikalischer Fehler: der falsche Anfahrtswinkel. Eine Wurzel, insbesondere eine feuchte, bietet extrem wenig seitlichen Halt. Fahren Sie sie in einem Winkel an, der spitzer als 90 Grad ist, üben Sie eine seitliche Kraft auf Ihren Reifen aus, für die er keinen Grip finden kann. Das Rad rutscht unweigerlich seitlich weg.

Die einzige sichere Methode, eine einzelne, markante Wurzel zu überqueren, ist, sie in einem exakten 90-Grad-Winkel anzufahren. Dies stellt sicher, dass die gesamte Kraft senkrecht auf das Hindernis wirkt, sodass Ihr Reifen und Ihre Federung die Energie nach oben absorbieren können, anstatt seitlich abzuschmieren. Das erfordert oft eine aktive Linienwahl schon Meter vor dem Hindernis. Sehen Sie eine schräg liegende Wurzel, korrigieren Sie Ihre Linie so, dass Sie im Moment des Kontakts im rechten Winkel darauf treffen. Dies ist wichtiger als jede andere Technik in diesem Moment.

Detailaufnahme Vorderrad trifft im perfekten 90-Grad-Winkel auf nasse Wurzel

Zusätzlich zum richtigen Winkel ist die Körperposition entscheidend. Sobald Sie den 90-Grad-Winkel sichergestellt haben, müssen Sie Ihr Körpergewicht aktiv nach hinten-unten verlagern, kurz bevor das Vorderrad die Wurzel erreicht. Dies entlastet das Vorderrad und hilft ihm, leichter über das Hindernis zu steigen. Wichtig ist hierbei: Es ist eine Manual-Bewegung aus den Beinen und der Hüfte, kein bloßes Ziehen am Lenker. Sie setzen Ihre Geschwindigkeit VOR dem Wurzelfeld und halten sie dann konstant. Bremsen oder Beschleunigen auf der Wurzel selbst ist tabu. Fahrtechnikschulen, wie etwa Experten für das Gelände im Bayerischen Wald, betonen, dass diese Kombination aus Linienwahl und aktiver Entlastung den Kern der sicheren Wurzelpassage bildet.

Wie halten Sie auf Schotter und Geröll die Spur bei 12% Gefälle?

Steile Abfahrten auf losem Untergrund wie Schotter oder Geröll sind eine mentale und technische Herausforderung. Der natürliche Instinkt schreit danach, sich zu verkrampfen, stark zu bremsen und zu versuchen, das Fahrrad mit aller Macht auf einer geraden Linie zu zwingen. Genau dieser Kampf führt zum Kontrollverlust. Die Profi-Technik ist hier zutiefst kontra-intuitiv: Statt gegen das Rutschen zu kämpfen, lassen Sie es kontrolliert zu. Sie lassen das Fahrrad unter sich „mitschwimmen“ und nutzen den Drift als Teil Ihrer Lenkbewegung.

Der Schlüssel dazu ist eine absolut zentrale und tiefe Körperposition. Ihr Gewicht muss gleichmäßig auf beiden Rädern lasten. Lehnen Sie sich aus Angst zu weit nach hinten, wird das Vorderrad zu leicht und verliert die Führung. Sind Sie zu weit vorn, droht das Heck auszubrechen. Die ideale Position: Ellenbogen und Knie sind weit gebeugt, der Oberkörper ist tief und Ihr Schwerpunkt liegt zentral über dem Tretlager. Eine entscheidende Technik hierfür ist die „Heel-Down“-Methode: Drücken Sie Ihre Fersen auf den Pedalen aktiv nach unten. Dies zwingt Ihren Schwerpunkt automatisch nach unten und hinten und verankert Sie fest auf dem Rad.

In dieser stabilen Position können Sie beginnen, mit dem Rutschen zu spielen. Anstatt panisch gegenzulenken, wenn das Heck leicht ausbricht, bleiben Sie zentral und lassen es geschehen. Korrigieren Sie mit feinen Hüftbewegungen. Die Hinterradbremse wird hier zu Ihrem wichtigsten Werkzeug: Ein kurzer, gezielter Impuls kann einen kontrollierten Drift einleiten, der Ihnen hilft, das Rad um eine Kurve zu lenken, fast wie bei einem Rallyeauto. Dies erfordert Übung und Vertrauen. Wie Fahrtechnik-Coaches für anspruchsvolles Gelände betonen, muss man lernen, das Rad unter sich arbeiten zu lassen, statt es zu dominieren. Der Untergrund diktiert den Tanz, Sie führen ihn nur.

Warum sind wilde Trails im Wald gefährlicher als Bikeparks, selbst bei weniger Gefälle?

Auf den ersten Blick mag ein steiler, mit Sprüngen gespickter Trail im Bikepark viel gefährlicher wirken als ein naturbelassener Waldpfad mit moderatem Gefälle. Doch die Statistik und die Erfahrung von Rettungsdiensten zeichnen ein anderes Bild. Die wahre Gefahr eines „wilden“ Trails liegt nicht in der kalkulierten Schwierigkeit, sondern in drei entscheidenden Faktoren: Unvorhersehbarkeit, Isolation und rechtliche Grauzonen. Ein Bikepark ist eine kontrollierte Umgebung. Die Strecken werden gewartet, Hindernisse sind standardisiert, und die Hilfe ist im Notfall schnell zur Stelle.

Ein wilder Trail im Teutoburger Wald oder in der Pfalz hingegen ist ein lebendiges, sich ständig veränderndes System. Eine Wurzel, die gestern noch trocken war, kann heute von nassem Laub verdeckt sein. Ein Sturm kann über Nacht einen Ast auf den Weg gelegt haben. Forstarbeiten können die Streckenführung unerwartet ändern. Diese ständige Unvorhersehbarkeit erfordert ein viel höheres Maß an Konzentration und Anpassungsfähigkeit. Ein kleiner Fahrfehler, der im Bikepark glimpflich ausgehen würde, kann hier weitreichende Konsequenzen haben. Der Faktor Isolation ist dabei nicht zu unterschätzen. Während im Bikepark die Rettungskräfte oft binnen Minuten vor Ort sind, kann laut Bergwacht-Statistiken die Rettung auf einem abgelegenen Trail mehrere Stunden dauern, besonders bei schlechtem Wetter oder unklarem Standort.

Zusätzlich erhöht die oft unklare Rechtslage den mentalen Druck. Das Befahren von nicht offiziell ausgewiesenen Wegen kann zu Konflikten mit Förstern, Jägern oder Wanderern führen. Dieser latente Stress kann die Konzentration beeinträchtigen und die Risikobereitschaft negativ beeinflussen. Experten weisen darauf hin, dass ein modernes Mountainbike zwar für anspruchsvollstes Gelände gebaut ist, die rechtliche Situation und die ständigen Veränderungen auf wilden Trails eine besondere mentale Herausforderung darstellen. Sie fahren nicht nur gegen die technischen Schwierigkeiten, sondern auch gegen eine Wand aus Ungewissheiten. Diese Kombination macht den vermeintlich harmlosen Waldweg potenziell gefährlicher als die perfekt präparierte Bikepark-Abfahrt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Wahre Balance ist dynamisch: Sie resultiert aus der Kontrolle über ständige Mikro-Déséquilibres, nicht aus statischer Ruhe.
  • Blickführung ist eine aktive Dissoziation: Der fokussierte Blick sichert das Fernziel (Trail-Ausgang), während die periphere Wahrnehmung und die Hüfte die unmittelbaren Hindernisse managen.
  • Der 90-Grad-Anfahrtswinkel auf Hindernisse wie Wurzeln ist ein unumstößliches physikalisches Gesetz zur Vermeidung von seitlichem Wegrutschen.

Welche 5 Übungen verbessern Ihre Trail-Balance und Single-Track-Stabilität?

Die Fähigkeit, auf einem schmalen Grat zu balancieren, wird nicht primär auf dem Trail selbst erworben. Sie ist das Ergebnis gezielten Trainings, das Ihr neuromuskuläres System – die Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln – schärft. Es geht darum, Ihrer Tiefenmuskulatur und Ihrem propriozeptiven System beizubringen, automatisch und blitzschnell auf kleinste Gleichgewichtsstörungen zu reagieren. Die folgenden progressiven Übungen, die Sie sowohl auf dem Rad als auch ohne durchführen können, sind der effektivste Weg, um diese grundlegende Fähigkeit zu entwickeln.

Beginnen Sie mit den Grundlagen, um die Basis zu schaffen. Der „Trackstand“, also das Stehenbleiben auf dem Rad ohne die Füße abzusetzen, ist die Mutter aller Balance-Übungen. Variieren Sie diesen, indem Sie bewusst den Kopf drehen oder eine Hand vom Lenker nehmen. Eine hervorragende Simulation für schmale Trails ist die Bordstein-Navigation: Versuchen Sie, so langsam wie möglich 5 bis 10 Meter auf einem Bordstein zu balancieren. Diese Übungen zwingen Ihren Körper, die feinen Korrekturen aus der Hüfte statt aus dem Lenker zu initiieren. Abseits des Rades ist das Einbeinstehen auf einem wackeligen Untergrund (z. B. einem Balance-Pad), erst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen, ein extrem wirksames propriozeptives Training.

Mountainbiker übt Balance auf einer Slackline im Park

Für fortgeschrittene Fahrer, die ihre Stabilität auf ein neues Level heben wollen, ist das Training auf einer Slackline unübertroffen. Es aktiviert exakt die gleichen Stabilisationsmuskeln im Rumpf und in den Beinen, die Sie auf einem wackeligen Trail benötigen. Das ständige Ausgleichen auf dem Band programmiert Ihre Reflexe für das „kontrollierte Kippen“. All diese Techniken sind fundamental, um die nötige Ruhe und das Körpergefühl für technische Passagen zu entwickeln, wie es auch erfahrene Fahrtechnik-Trainer immer wieder betonen. Balance ist keine Gabe, sondern eine erlernbare Fähigkeit.

Ihr Aktionsplan: 5 progressive Übungen für meisterhafte Balance

  1. Trackstand mit Variationen: Üben Sie das Stehen auf dem Rad. Erhöhen Sie den Schwierigkeitsgrad, indem Sie den Kopf nach links und rechts drehen, eine Hand vom Lenker nehmen oder versuchen, eine Trinkflasche vom Boden aufzuheben.
  2. Propriozeptions-Training (Off-Bike): Stellen Sie sich einbeinig auf ein Balance-Pad oder ein gefaltetes Handtuch. Halten Sie die Position für 30 Sekunden. Steigern Sie sich, indem Sie die Augen dabei schließen.
  3. Bordstein-Navigation: Suchen Sie sich einen geraden Bordstein von 5-10 Metern Länge. Üben Sie, so langsam wie möglich darauf zu balancieren, ohne herunterzufallen. Dies ist die perfekte Simulation für schmale Singletrails.
  4. Acht-Fahren mit engstem Radius: Markieren Sie zwei Punkte im Abstand von 3-4 Metern. Fahren Sie so langsam und eng wie möglich eine Acht um diese Punkte. Dies schult die feine Koordination von Lenkung, Gewichtsverlagerung und Blickführung.
  5. Slacklining als Transfer-Training: Spannen Sie eine Slackline zwischen zwei Bäumen. Schon das bloße Stehen auf dem Band trainiert Ihre Rumpf- und Beinmuskulatur auf eine Weise, die direkt auf die Balance auf dem Trail übertragbar ist.

Wie springen Sie sicher über einen 50 cm hohen Baumstamm?

Ein querliegender Baumstamm auf dem Trail muss kein Hindernis sein, das Ihre Tour stoppt. Mit der richtigen Technik wird er zu einer spielerischen Herausforderung. Die Technik, die Sie hierfür benötigen, ist der „Bunny Hop“. Viele glauben fälschlicherweise, es ginge darum, am Lenker zu ziehen und hochzuspringen. In Wahrheit ist der Bunny Hop eine hochentwickelte, explosive Ganzkörperbewegung, die mehr mit einem Sprung aus der Hocke als mit Armkraft zu tun hat. Es geht darum, das Rad aktiv unter den Körper zu „saugen“.

Der Schlüssel zu einem hohen und sicheren Bunny Hop ist die saubere Ausführung der vier Phasen. Alles beginnt mit der Kompression: Sie gehen tief in die Hocke, beugen Arme und Beine und komprimieren so das Fahrwerk und Ihren Körper wie eine Feder. Aus dieser Position leiten Sie die zweite Phase ein: das Anheben des Vorderrads. Dies geschieht durch eine schnelle Gewichtsverlagerung nach hinten-oben, nicht durch Ziehen mit den Armen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen sich auf einen hohen Barhocker schwingen. Sobald das Vorderrad seinen höchsten Punkt erreicht, folgt die wichtigste Phase: der explosive Absprung. Sie stoßen sich kraftvoll mit beiden Füßen von den Pedalen ab, als würden Sie einen Sprung aus der Hocke machen. Genau dieser Impuls bringt Höhe. In der vierten und letzten Phase, dem „Ansaugen“, ziehen Sie die Beine an und kippen die Handgelenke nach vorn, um das Hinterrad zum Körper hochzuziehen und über das Hindernis zu bringen.

Niemand lernt einen 50-cm-Bunny-Hop an einem Tag. Der Weg dorthin ist progressiv. Wie auch bei anderen Balance-Manövern, die Übung und starke Nerven erfordern, ist der schrittweise Aufbau des motorischen Musters entscheidend. Beginnen Sie mit einer Linie am Boden, dann nehmen Sie einen Gartenschlauch, dann einen kleinen Ast. Steigern Sie die Höhe nur, wenn Sie sich absolut sicher fühlen. Ein unverzichtbares Werkzeug für diese Technik ist eine Dropper Post (absenkbare Sattelstütze), da sie Ihnen die maximale Bewegungsfreiheit für die tiefe Kompression und das hohe Anziehen der Beine gibt. Die detaillierte Sequenz des Bunny Hops in vier Phasen ist eine bewährte Methode, um diese komplexe Bewegung zu erlernen.

Jetzt haben Sie das Rüstzeug, die Theorie und die Übungen an der Hand, um Ihre Fahrtechnik fundamental zu verändern. Der nächste und wichtigste Schritt findet nicht hier statt, sondern draußen auf dem Trail. Suchen Sie sich für Ihre nächste Ausfahrt eine einzige der hier besprochenen Techniken aus – sei es der 90-Grad-Winkel an Wurzeln oder die „Heel-Down“-Position auf Schotter – und konzentrieren Sie sich ausschließlich darauf. Verwandeln Sie Wissen in Muskelgedächtnis.

Geschrieben von Matthias Bergmann, Matthias Bergmann ist ehemaliger Downhill-Profi und seit 12 Jahren zertifizierter MTB-Fahrtechnik-Trainer mit DIMB-Lizenz. Er führt Fahrtechnik-Camps in den bayerischen Alpen und im Schwarzwald durch und hat über 3.000 Kursteilnehmer in technischen Disziplinen geschult.