Veröffentlicht am April 12, 2024

Entgegen der allgemeinen Annahme ist nicht die Fahrbahn, sondern der schlecht konzipierte Radweg die größte Gefahrenquelle für Radfahrer in deutschen Städten.

  • Viele Wege sind zu schmal, schlecht gewartet und enden abrupt im Nichts.
  • Sichtbeziehungen an Kreuzungen und Einfahrten sind oft durch parkende Autos oder Bewuchs blockiert.

Empfehlung: Lernen Sie, die Infrastruktur kritisch zu bewerten und im Zweifelsfall bewusst und legal die Fahrbahn als sicherere Alternative zu wählen.

Jeder Stadtradler in Deutschland kennt das Gefühl: Einerseits die Erleichterung, auf einem baulich getrennten Radweg dem dichten Autoverkehr zu entkommen, andererseits die ständige Anspannung vor plötzlich aufgerissenen Autotüren, uneinsehbaren Kreuzungen und abrupt endenden Wegen. Die gängigen Ratschläge – Helm tragen, Licht an – sind zwar richtig, kratzen aber nur an der Oberfläche eines tieferliegenden Problems. Sie adressieren das Verhalten des Radfahrers, nicht aber die oft mangelhafte und gefährliche Infrastruktur, mit der er täglich konfrontiert wird.

Doch was, wenn der Schlüssel zu Ihrer Sicherheit nicht darin liegt, blind der vorgegebenen Route zu folgen, sondern darin, ein gesundes Misstrauen gegenüber der Infrastruktur zu entwickeln? Wenn die sicherste Entscheidung oft die ist, die auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheint? Dieses Sicherheits-Paradox ist der Kern des Problems. Viele Radwege, die Schutz versprechen, schaffen durch schlechte Planung neue, oft unsichtbare Gefahren. Sie wiegen den Radfahrer in einer trügerischen Sicherheit, während das wahre Risiko im toten Winkel eines abbiegenden LKW oder hinter einer Hecke an der Grundstücksausfahrt lauert.

Dieser Leitfaden verfolgt daher einen anderen Ansatz. Er ist eine Anleitung zur strategischen Risikominimierung. Sie lernen nicht nur, wie Sie sich verhalten müssen, sondern vor allem, wie Sie die Infrastruktur lesen, rechtliche Grauzonen zu Ihrem Vorteil nutzen und kritische Situationen antizipieren, bevor sie entstehen. Es geht darum, vom passiven Verkehrsteilnehmer zum aktiven Sicherheitsmanager Ihrer eigenen Fahrt zu werden.

Um diese Fähigkeiten zu meistern, gliedert sich der Artikel in klare, praxisorientierte Abschnitte. Von der sekundenschnellen Analyse eines Radwegs über die rechtlichen Grundlagen der Radwegbenutzungspflicht bis hin zu konkreten Verhaltensstrategien in den gefährlichsten Verkehrssituationen erhalten Sie das notwendige Rüstzeug für mehr Sicherheit im urbanen Raum.

Warum sind 60% der baulich getrennten Radwege in Deutschland gefährlicher als die Fahrbahn?

Die Vorstellung, dass ein vom Autoverkehr getrennter Radweg automatisch sicherer ist, ist ein weit verbreiteter und gefährlicher Irrglaube. Tatsächlich belegen Studien immer wieder das Gegenteil: das Unfallrisiko auf einem Radstreifen statistisch gesehen höher als auf der Fahrbahn ist. Der Grund für dieses Sicherheits-Paradox liegt nicht im Radweg an sich, sondern in seiner oft mangelhaften Umsetzung und den Konfliktpunkten, die er schafft. Radfahrer werden aus dem direkten Sichtfeld der Autofahrer entfernt und tauchen an Kreuzungen und Einfahrten oft unerwartet wieder auf.

Dieses erhöhte Risiko wird durch eine Reihe typischer Mängel in der deutschen Radinfrastruktur verursacht, die in der Summe eine trügerische Sicherheit schaffen. Anstatt Schutz zu bieten, führen sie zu unvorhersehbaren und gefährlichen Interaktionen mit anderen Verkehrsteilnehmern. Die häufigsten Probleme sind:

  • Ungenügende Breite: Viele Wege unterschreiten die Mindestbreite von 1,50 Metern, was Überholmanöver unmöglich macht und keinen Puffer zu Hindernissen lässt.
  • Blockierte Sichtbeziehungen: An Kreuzungen und Grundstücksausfahrten verhindern parkende Autos, Hecken oder Werbetafeln den wichtigen Blickkontakt zwischen Radfahrern und Autofahrern.
  • Mangelhafte Oberfläche: Aufbrechende Wurzeln, unebenes Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher oder ungeräumtes Laub werden zu direkten Sturzgefahren.
  • Abrupte Enden: Sogenannte „Radweg-Stummel“ enden oft ohne sichere Weiterführung auf der Fahrbahn und zwingen Radfahrer zu gefährlichen Manövern im fließenden Verkehr.
  • Fehlende Sicherheitsabstände: Direkt neben dem Radweg parkende Autos bergen ein hohes „Dooring“-Risiko, also die Gefahr durch plötzlich geöffnete Türen.

Gerade die Führung von Radwegen an Kreuzungen ist ein kritischer Punkt. Während automobilnahe Verbände wie die BASt oder die Unfallforschung der Versicherer (UDV) eine fahrbahnnahe Führung empfehlen, um Radfahrer im Sichtfeld zu halten, sind viele deutsche Radwege abgesetzt und führen Radfahrer direkt durch den toten Winkel von Rechtsabbiegern. Das Unfallrisiko an deutschen Kreuzungen ist dadurch signifikant erhöht im Vergleich zu Ländern mit besserer Infrastrukturplanung wie den Niederlanden.

Wie erkennen Sie in 3 Sekunden, ob ein Radweg sicher ist oder Unfallgefahr birgt?

Als vorausschauender Radfahrer müssen Sie die Fähigkeit entwickeln, die Qualität und Sicherheit eines Radwegs blitzschnell zu bewerten. Es geht darum, ein geschultes Auge für die typischen Gefahrenquellen zu entwickeln und nicht blind der blauen Beschilderung zu vertrauen. Dieser proaktive Ansatz, den wir als „Infrastruktur-Misstrauen“ bezeichnen, ist Ihre wichtigste Lebensversicherung. Anstatt passiv zu reagieren, scannen Sie die Umgebung permanent auf potenzielle Risiken.

Das wichtigste Kriterium hierbei sind die Sichtbeziehungen. Ein sicherer Radweg sorgt dafür, dass Sie von anderen Verkehrsteilnehmern – insbesondere von Autofahrern an Kreuzungen und Einfahrten – jederzeit gesehen werden und selbst alles sehen. Das sogenannte Sichtdreieck muss frei sein.

Detailaufnahme eines kritischen Sichtdreiecks an einer urbanen Kreuzung aus der Perspektive eines Radfahrers.

Die folgende Tabelle fasst die entscheidenden Merkmale zusammen, die einen sicheren von einem gefährlichen Radweg unterscheiden. Nutzen Sie diese Kriterien als mentale Checkliste bei jeder Fahrt.

Sichere vs. unsichere Radwegmerkmale
Merkmale Sicherer Radweg Gefährlicher Radweg
Breite Mind. 2 Meter Unter 1,5 Meter
Sichtbeziehungen Freie Sicht an Kreuzungen Verdeckt durch parkende Autos
Oberflächenqualität Ebener Asphalt Pflaster, Wurzelschäden
Führung an Kreuzungen Fahrbahnnah, sichtbar Abgesetzt, im toten Winkel
Markierung Rote Furt, klare Zeichen Verblasst, mehrdeutig

Ihr 3-Sekunden-Sicherheitscheck für jeden Radweg

  1. Blick 1 (Oberfläche): Ist der Belag vor Ihnen eben und frei oder erkennen Sie Wurzelaufbrüche, Schlaglöcher oder nasses Laub?
  2. Blick 2 (Seitenraum): Sind die Sichtdreiecke an der nächsten Einfahrt frei oder durch parkende Autos, Hecken oder Mülltonnen blockiert?
  3. Blick 3 (Weiterführung): Sehen Sie bereits, wie der Radweg nach der nächsten Kreuzung weitergeführt wird, oder endet er abrupt?
  4. Zusatz-Check (Parkende Autos): Stehen Fahrzeuge direkt am Rand des Radwegs? Rechnen Sie jederzeit mit einer sich öffnenden Tür („Dooring“).
  5. Wetter-Check (Nässe): Führt der Weg über Kopfsteinpflaster oder Straßenbahnschienen? Reduzieren Sie bei Nässe Ihr Tempo drastisch.

Radweg oder Fahrbahn: Wo müssen, dürfen und sollten Sie in deutschen Städten fahren?

Die Frage, wann ein Radweg benutzt werden muss, ist eine der zentralsten für die Sicherheit im Stadtverkehr. Die Antwort darauf ist keine Frage der persönlichen Vorliebe, sondern klar in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) geregelt. Das Wissen um diese Regeln gibt Ihnen die rechtliche Grundlage, in bestimmten Situationen bewusst die sicherere Fahrbahn zu wählen. Die landläufige Meinung „Wo ein Radweg ist, musst du ihn auch benutzen“ ist schlichtweg falsch.

Die rechtliche Grundlage ist eindeutig und gibt Radfahrern mehr Entscheidungsfreiheit, als viele denken. Der entscheidende Paragraph der StVO besagt:

Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist.

– § 2 Abs. 4 StVO, Straßenverkehrsordnung Deutschland

Das bedeutet: Nur wenn eines der runden blauen Schilder mit dem Fahrradsymbol vorhanden ist, besteht eine Benutzungspflicht. Fehlt dieses Schild, haben Sie die freie Wahl, ob Sie den Radweg oder die Fahrbahn benutzen. Doch selbst bei einer bestehenden Benutzungspflicht gibt es wichtige Ausnahmen. Die Pflicht entfällt, wenn der Radweg objektiv unbenutzbar oder unzumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn der Weg beispielsweise durch Falschparker, Baustellen oder Mülltonnen blockiert ist, aber auch, wenn er durch Schnee, Eis oder erhebliche Schäden (z.B. Wurzelaufbrüche) eine konkrete Gefahr darstellt. In diesen Fällen dürfen und sollten Sie auf die Fahrbahn ausweichen, um sich selbst zu schützen.

Abstraktes Diagramm, das den Entscheidungsprozess eines Radfahrers an der Schnittstelle von Radweg und Straße symbolisiert.

Ihre Entscheidung sollte immer eine strategische sein: Wägen Sie die rechtliche Situation (Schild vorhanden?) gegen die tatsächliche Sicherheit (Zustand des Weges, Sichtbeziehungen) ab. Im Zweifel gilt: Ihre Unversehrtheit hat Vorrang. Ein Bußgeld für das „falsche“ Befahren der Straße wiegt nichts im Vergleich zu den potenziellen Folgen eines Unfalls auf einem mangelhaften Radweg.

Die Kreuzungssituation, die 80% aller tödlichen Radunfälle in Städten verursacht

Es gibt eine Verkehrssituation, die für Radfahrer in deutschen Städten mit Abstand am gefährlichsten ist: die Kollision mit einem rechts abbiegenden LKW. Obwohl die absolute Zahl der Unfälle variiert, ist das Muster erschreckend konstant und die Folgen sind oft fatal. Die Ursache liegt im berüchtigten „toten Winkel“, einem Bereich neben und schräg vor dem LKW, in dem der Fahrer einen Radfahrer trotz Spiegel nicht sehen kann. Fährt der Radfahrer in diesem Bereich, während der LKW an einer Ampel wartet, um dann gemeinsam bei Grün anzufahren, ist die Katastrophe vorprogrammiert.

Das Ausmaß des Problems ist alarmierend. Jährlich sterben in Deutschland rund 140 Fahrrad-Fahrer oder Fußgänger, weil sie von einem rechtsabbiegenden Lastwagen erfasst und überrollt werden. Diese Zahl unterstreicht, dass technologische Lösungen wie Abbiegeassistenten zwar helfen, aber kein Allheilmittel sind. Die wirksamste Strategie ist Ihr eigenes defensives und proaktives Verhalten. Es geht darum, niemals darauf zu vertrauen, gesehen zu werden.

Das Prinzip der „Defensiven Dominanz“ bedeutet, sich niemals in eine passive Opferrolle zu begeben. Anstatt neben einem LKW im toten Winkel zu verharren, ergreifen Sie aktiv die Initiative, um die Situation zu entschärfen. Ihre Positionierung an der Ampel ist dabei der entscheidende Faktor über Leben und Tod. Es gibt nur zwei sichere Positionen – alles dazwischen ist lebensgefährlich.

Befolgen Sie diese Überlebensstrategie an jeder Kreuzung, an der Sie auf einen LKW treffen:

  • Position 1 (Vor dem LKW): Wenn Sie schnell genug sind, überholen Sie den wartenden LKW und positionieren Sie sich klar und deutlich sichtbar vor seiner Fahrerkabine. So sind Sie aus dem toten Winkel heraus und der Fahrer kann Sie nicht übersehen.
  • Position 2 (Weit hinter dem LKW): Wenn Sie den LKW nicht sicher überholen können, bleiben Sie mit großem Abstand (mindestens 3 Meter) hinter ihm stehen. Warten Sie, bis er abgebogen ist, bevor Sie selbst in die Kreuzung einfahren.
  • Absolute Tabu-Zone: Halten Sie NIEMALS direkt neben der Fahrerkabine oder dem Auflieger eines LKW an der Ampel. Dies ist der tödliche Winkel.
  • Kommunikation: Suchen Sie aktiv den Blickkontakt mit dem Fahrer über den Seitenspiegel. Kein Blickkontakt bedeutet, Sie sind unsichtbar.
  • Im Zweifel: Wenn Sie sich unsicher sind, steigen Sie ab und überqueren Sie die Kreuzung als Fußgänger auf dem Gehweg.

Wann und wo sollten Sie bestimmte Routen in deutschen Großstädten meiden?

Nicht alle Straßen sind gleich. Eine strategische Routenwahl, die bekannte Gefahrenpunkte meidet, ist ein fundamentaler Baustein zur Reduzierung Ihres Unfallrisikos. Es geht darum zu wissen, welche Streckentypen zu welchen Zeiten besonders gefährlich sind. Ein Hauptrisiko stellen dabei Straßen mit Längsparkplätzen dar, insbesondere während des Feierabendverkehrs. Die Gefahr des „Dooring“ – also die Kollision mit einer unachtsam geöffneten Autotür – ist hier omnipräsent und wird oft unterschätzt.

Eine Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zeigt, dass 18 Prozent aller Unfälle mit verletzten Radfahrern auf parkende Kraftfahrzeuge zurückzuführen sind, wobei Dooring-Unfälle die Hauptursache darstellen. Das Gebot, einen ausreichenden Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern zu parkenden Autos zu halten, ist in der Praxis auf engen Radwegen oder Schutzstreifen oft nicht umsetzbar. Genau hier liegt die Gefahr: Der Radweg suggeriert Sicherheit, zwingt den Radfahrer aber in die unmittelbare Gefahrenzone.

Weitwinkelansicht einer mehrspurigen Hauptstraße in einer deutschen Stadt mit einem schmalen Radweg, der zwischen parkenden Autos und fließendem Verkehr eingeklemmt ist.

Neben dem Dooring-Risiko gibt es weitere Streckentypen, deren Gefahrenpotenzial stark von der Tageszeit und den Wetterbedingungen abhängt. Eine bewusste Routenplanung, die diese Faktoren berücksichtigt, kann Ihr Unfallrisiko erheblich senken. Suchen Sie nach Möglichkeit immer nach Alternativen wie Fahrradstraßen oder verkehrsberuhigten Nebenstraßen.

Die folgende Übersicht hilft Ihnen, Risikostrecken zu identifizieren und Alternativen zu finden:

Risikostrecken nach Tageszeit und Wetter
Streckentyp Risikozeit Gefahr Alternative
Straßen mit Längsparkern Feierabend (17-19 Uhr) Hohes Dooring-Risiko Parallelstraße ohne Parkbuchten
Ein-/Ausfallstraßen Berufsverkehr (morgens/abends) Hohes Tempo, wenig Platz, Stress Fahrradstraßen, Wohngebiete
Straßenbahnschienen Bei Nässe, Dunkelheit Extreme Rutschgefahr Route ohne Schienenführung suchen
Kopfsteinpflaster Herbst/Winter (Laub, Nässe) Glatt, unberechenbar Asphaltierte Haupt- oder Nebenroute

Die Routenwahl, die Ihr Unfallrisiko im Stadtverkehr um 300% erhöht

Es gibt eine bestimmte Kombination von Faktoren, die eine Route zur absoluten Hochrisikostrecke macht. Wenn Sie lernen, diese toxische Mischung zu erkennen und konsequent zu meiden, eliminieren Sie einen der größten Risikofaktoren im Stadtverkehr. Die gefährlichste Route ist nicht zwangsläufig die mit dem meisten Verkehr, sondern die, welche die meisten unvorhersehbaren Konfliktpunkte auf engstem Raum vereint.

Die gefährlichste Kombination für einen Radfahrer in einer deutschen Stadt ist ein schlecht gewarteter, benutzungspflichtiger Radweg entlang einer Hauptverkehrsstraße mit vielen Grundstückseinfahrten und einem hohen Anteil an Liefer- oder Schwerlastverkehr. Jeder einzelne dieser Faktoren stellt bereits ein Risiko dar. In Kombination potenzieren sie sich zu einer kaum kalkulierbaren Gefahr. Sie werden aus dem Sichtfeld des fließenden Verkehrs genommen, müssen aber gleichzeitig permanent mit ein- und ausfahrenden Autos aus den Grundstücken und dem toten Winkel von LKW rechnen, während Sie Schlaglöchern oder Wurzelaufbrüchen ausweichen.

Diese Art von Infrastruktur ist leider ein häufiges Bild in vielen deutschen Städten. Sie ist das Ergebnis einer veralteten, autozentrierten Verkehrsplanung, die Radfahrer aus dem Weg schaffen wollte, anstatt sie sicher zu integrieren. Die Konsequenzen zeigen sich in der nationalen Unfallstatistik. Obwohl Radfahrer nur einen Bruchteil des Verkehrsaufkommens ausmachen, sind sie bei den tödlichen Unfällen überrepräsentiert. Wie das Statistische Bundesamt meldet, war im Jahr 2024 jede oder jeder sechste (16,0 %) im Straßenverkehr Getötete mit dem Fahrrad unterwegs. Insgesamt starben 441 Radfahrerinnen und -fahrer bei Unfällen.

Der effektivste Schutz ist die Vermeidung. Nutzen Sie digitale Routenplaner mit Fahrrad-Option, die es oft ermöglichen, Hauptverkehrsstraßen zu meiden. Eine ruhigere Parallelstraße durch ein Wohngebiet ist fast immer die sicherere Wahl, auch wenn sie einen kleinen Umweg bedeutet. Ihre strategische Routenwahl ist die mächtigste Waffe in Ihrem Arsenal. Opfern Sie niemals Ihre Sicherheit für wenige Minuten Zeitersparnis.

Wie reagieren Sie in 0,5 Sekunden auf ein plötzliches Hindernis ohne zu stürzen?

Selbst bei vorausschauender Fahrweise kann es passieren: Ein Kind läuft auf die Straße, eine Autotür wird aufgerissen, ein Auto biegt ohne zu blinken ab. In diesen Momenten entscheiden Sekundenbruchteile und die richtige Körperhaltung über einen glimpflichen Ausgang oder einen schweren Sturz. Eine instinktive Schreckreaktion – das panische Verreißen des Lenkers oder das Blockieren beider Bremsen – führt fast unweigerlich zum Kontrollverlust. Eine kontrollierte Notbremsung ist eine erlernbare Fähigkeit.

Das physikalische Prinzip ist einfach: Beim Bremsen verlagert sich das Gewicht auf das Vorderrad. Dort haben Sie die größte Bremswirkung, aber auch die größte Gefahr, sich zu überschlagen. Der Schlüssel liegt darin, dieser Gewichtsverlagerung aktiv mit Ihrem Körper entgegenzuwirken. Anstatt starr auf dem Rad zu sitzen, müssen Sie Ihren Körperschwerpunkt blitzschnell nach hinten und unten verlagern. Stellen Sie sich vor, Sie wollen sich hinter den Sattel setzen. Dies drückt das Hinterrad auf den Boden, verhindert ein Ausbrechen und maximiert die Bremsleistung beider Bremsen.

Die richtige Notbremstechnik erfordert Übung, aber die Grundlagen sind schnell verinnerlicht. Suchen Sie sich eine freie Fläche und probieren Sie es bei niedriger Geschwindigkeit aus, um ein Gefühl dafür zu bekommen.

  • Gewicht nach hinten: Der wichtigste Impuls. Ihr Gesäß muss sofort so weit wie möglich hinter den Sattel. Je stärker Sie bremsen, desto weiter nach hinten.
  • Dosierte Bremskraft: Bauen Sie den Druck auf die Bremshebel schnell, aber kontrolliert auf. Etwa 70% der Kraft geht auf die Vorderradbremse, da hier die meiste Wirkung erzielt wird. Die restlichen 30% gehen auf die Hinterradbremse, um das Rad zu stabilisieren.
  • Arme als Federung: Halten Sie die Arme gebeugt und locker. Durchgestreckte Arme leiten den Stoß direkt in Ihren Körper und führen zum Kontrollverlust. Die Arme fangen die Energie ab.
  • Blickführung: Schauen Sie dorthin, wo Sie hinwollen (z.B. an dem Hindernis vorbei), nicht auf das Hindernis selbst. Ihr Rad folgt Ihrem Blick. Starren Sie auf den Boden vor sich, werden Sie stürzen.

Diese Technik gibt Ihnen die bestmögliche Chance, die Kontrolle zu behalten und die Kollision zu vermeiden oder zumindest die Aufprallgeschwindigkeit entscheidend zu reduzieren. Es ist die Fähigkeit, die den Unterschied macht, wenn es wirklich darauf ankommt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Misstrauen Sie der Infrastruktur: Ein Radweg ist nicht per se sicher. Prüfen Sie Breite, Oberfläche und vor allem die Sichtbeziehungen an Kreuzungen.
  • Kennen Sie Ihr Recht: Die Radwegbenutzungspflicht gilt nur bei entsprechender Beschilderung und entfällt bei Unbenutzbarkeit des Weges. Die Fahrbahn ist oft die legalere und sicherere Wahl.
  • Meiden Sie den toten Winkel: Positionieren Sie sich an Ampeln immer klar sichtbar vor oder mit weitem Abstand hinter einem LKW, niemals daneben.

Wie behalten Sie die Bike-Kontrolle bei 15% Gefälle auf nassem Laub?

Steile Abfahrten, kombiniert mit Nässe und rutschigem Untergrund wie Herbstlaub oder Kopfsteinpflaster, gehören zu den anspruchsvollsten Fahrsituationen. Hier geht es weniger um aggressives Bremsen als um vorausschauende Geschwindigkeitskontrolle und eine stabile Körperposition. Der häufigste Fehler ist, erst in der Gefahrenzone selbst stark zu bremsen. Dies führt fast unweigerlich zum Blockieren eines Rades und zum sofortigen Sturz.

Der Schlüssel zur Kontrolle liegt darin, die Geschwindigkeit bereits vor der kritischen Stelle (dem Laubteppich, der Pflasterstein-Passage) auf ein sicheres Maß zu reduzieren. In der rutschigen Zone selbst wird dann idealerweise gar nicht oder nur noch sehr sanft gebremst. Sie rollen kontrolliert durch. Moderne Allwetterreifen wie der Schwalbe Marathon GT 365 bieten zwar erstaunlich guten Grip selbst auf nassem Laub, aber die physikalischen Grenzen gelten auch für sie. Verlassen Sie sich nie allein auf das Material.

Die richtige Technik und eine angepasste Fahrweise sind entscheidend, um solche Passagen sicher zu meistern. Eine kleine Reduzierung des Luftdrucks kann ebenfalls helfen, da sie die Aufstandsfläche des Reifens vergrößert und so den Grip verbessert.

  • Vorausschauend verlangsamen: Reduzieren Sie Ihre Geschwindigkeit deutlich, *bevor* Sie in die Gefahrenzone einfahren.
  • Bremsen entlasten: Versuchen Sie, die rutschige Stelle ohne Betätigung der Bremsen zu durchrollen. Wenn Sie bremsen müssen, dann nur sanft und gefühlvoll, vorzugsweise mit der Hinterradbremse.
  • Schwerpunkt tief und zentral: Gehen Sie aus dem Sattel, beugen Sie Knie und Ellbogen und positionieren Sie Ihren Körperschwerpunkt tief und mittig über dem Fahrrad. Das erhöht die Stabilität.
  • Lenker locker halten: Verkrampfen Sie nicht. Ein lockerer Griff erlaubt es dem Fahrrad, unter Ihnen zu „arbeiten“ und kleine Unebenheiten selbst auszugleichen.
  • Luftdruck anpassen: Bei dauerhaft nassen und rutschigen Bedingungen kann es helfen, den Reifendruck um etwa 1 bar (z.B. von 6 auf 5 bar) zu senken, um die Haftung zu erhöhen.

Mit dieser kontrollierten und vorausschauenden Herangehensweise verlieren auch die tückischsten Abfahrten ihren Schrecken. Sie ersetzen passive Angst durch aktive Kontrolle.

Wenden Sie diese Prinzipien bei jeder einzelnen Fahrt an. Ihre Sicherheit beginnt nicht mit der Infrastruktur, die Ihnen vorgesetzt wird, sondern mit den fundierten Entscheidungen, die Sie auf Basis Ihres Wissens und Ihrer Fähigkeiten treffen. Fahren Sie defensiv, strategisch und vor allem: Kommen Sie sicher an.

Geschrieben von Michael Fischer, Michael Fischer ist Verkehrssicherheitsberater und ehemaliger Polizeibeamter mit 18 Jahren Erfahrung in Verkehrsunfallprävention. Seit 2016 arbeitet er als selbstständiger Mobilitätsexperte mit Schwerpunkt auf urbaner Radverkehrssicherheit und berät Kommunen sowie Radfahrer-Organisationen in Deutschland.